Gegen den Lauf der Natur: Judith Schalanskys bizarre Biologiestunde.
Lehrer haben es nicht leicht. Es sei denn, sie treten in einem Schulroman wie dem der 1980 in Greifswald geborenen Judith Schalansky auf. Ihre Hauptfigur Inge Lohmark ist eine Biologie- und Sportlehrerin an einem Gymnasium in der vorpommerschen Provinz. Der Bildungstrieb der Jugendlichen besteht für sie nur aus "Zeugung, Ernährung und Reproduktion", das Lernen ist der Kampf um Lebensraum und Anpassung, der Mensch ist ein "Flickwerk" der Evolution, "ein Provisorium, das mehr schlecht als recht funktionierte, voll von überflüssigen Merkmalen". Opfer dieses neo-darwinistischen Menschenbilds sind die Schüler, unwillig Lernende, die Buche und Birke nicht unterscheiden können und denen die - der Evolution der Giraffen abgekupferte - Botschaft ihrer Lehrerin, dass man sich nach oben strecken muss, um etwas zu werden im Leben, ziemlich auf die Nerven geht. Judith Schalansky tut auch gar nichts, um ihre Hauptfigur sympathisch zu machen. Sie lässt sie ihre eigene Tochter verleugnen, vor den Kollegen als "verknöcherte" Frontallehrerin dastehen, in der Provinz versauern. Das ermöglicht einerseits einen ernüchternden Einblick in ein vermeintlich reformresistentes Schulsystem, das Bildung zur Retorte verkommen lässt, andererseits ergibt sich eine bizarre Biologiestunde (die drei Kapitel heißen "Naturhaushalte", "Vererbungsvorgänge" und "Entwicklungslehre"). Die Kurzsatz-Sprache klingt manchmal arg lexikalisch, der Anspruch des "Bildungsromans" klingt ironisch. Zwischendurch gibt es gelungene Passagen über das Schulmilieu in der Provinz - mit schrumpfenden Schülerzahlen und schließungsbedrohter Schule. Ein gemischtes Lesegefühl also. Das grauleinen eingebundene Buch ist ausgezeichnet gestaltet, mit Zeichnungen der Autorin versehen, die Kunstgeschichte und Kommunikationsdesign studiert hat. (Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2011 - Longlist)
Personen: Schalansky, Judith
Schal
Schalansky, Judith:
¬Der¬ Hals der Giraffe : Bildungsroman / Judith Schalansky. - 1. Aufl. - Berlin : Suhrkamp, 2012. - 222 S. : Ill.
ISBN 978-3-518-46388-8
Schöne Literatur - Buch