Zaghaft lächelte ich ihn an und er lächelte zurück. Plötzlich waren sich unsere Gesichter ganz nah. Ich machte mir klar, dass ich diesem Jungen erst zweimal begegnet war, und gerade mal seinen Namen kannte. Auch er kämpfte damit, das konnte ich sehen. Doch wir kamen beide näher und unsere Lippen berührten sich, ein Kribbeln machte sich in meinem Bauch breit. Doch schon wenige Sekunden später hatten wir uns wieder gelöst. Er war leicht rot geworden und auch ich schaute verlegen auf meine Bettdecke. War das gerade wirklich geschehen? Er räusperte sich. "Ähm, wie wär's, wenn ich uns was zu essen mache, und du dich fertigmachst? Dann kommst du runter, und ich erzähle dir alles, was du wissen willst." Dankbar für den Vorschlag nickte ich eifrig. Als ich ins Badezimmer ging, hörte ich gerade noch, wie er aus dem Zimmer verschwand. Ich lehnte mich gegen die Badezimmertür. War ich eigentlich vollkommen übergeschnappt, einen fremden Jungen in mein Haus zu lassen? Er ist, wenn du ihm glauben schenken kannst, ein blutsaugender Vampir, sagte die eine Stimme in meinem Kopf. Und gut aussehend, warf meine andere Stimme ein. Er ist total fremd und doch hast du ihn geküsst, sagte wieder die erste Stimme. Ruhe!, befahl ich und musste fast lachen, weil es einfach so albern war, dass ich mich mit mir selber stritt. Oh Gott, was hatte ich getan? Wenn Mom das erfuhr, oh Gott, daran durfte ich erst gar nicht denken. Okay, ich atmete tief durch und stand auf, dann stützte ich mich am Waschbeckenrand ab. Als ich in mein Gesicht schaute, bemerkte ich, dass ich glücklich aussah. Ich sollte mir nicht immer so viele Sorgen machen. Er war nur ein Junge, wie oft hatte ich schon Jungenbesuch gehabt? Es war doch nur ein harmloser Kuss. Doch er war wunderschön und es hat so schön gekribbelt, warf die eine Stimme wieder träumerisch ein. Als ob er das Gleiche gefühlt hätte! Er will dich doch nur zur Strecke bringen, schnaubte die andere. Langsam reichte es mir und ich spritzte Wasser in mein Gesicht. Die Stimmen ebbten ab und ich wusch mich. Das würde ich durchstehen, er war genauso ein Junge wie jeder andere auch, na ja, zumindest fast. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass er gefährlich ist, murmelte ich mir zu. Dann ging ich zurück in mein Zimmer.
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Personen: Wagner, Lena
Standort: Onleihe
Wagner, Lena:
Das Vampirgen : Verlag3.0, 2012. - 177 S.
ISBN 978-3-943138-42-9
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