Teils humorvolle, teils sarkastisch pointierende Bloßstellung einer naiven Wundergläubigkeit in einem phantastisch-realistischen Roman. Juan Diego, erfolgreicher Schriftsteller, ist auf dem Weg nach Manila. Schon auf der Flugreise und später nach seiner Ankunft plagen den herzkranken Mittfünfziger Müdigkeit und bedrückende Traumreisen in seine Vergangenheit. Aufgewachsen ist er mit seiner geliebten jüngeren Schwester Lupe als uneheliches Kind einer Prostituierten (die später auf kuriose Weise vom Standbild der sittenstrengen Jungfrau Maria ins Jenseits befördert wird) auf einer Müllkippe in der mexikanische Stadt Oaxaca. Weggeworfene Bücher sind für den hochbegabten "Müllkippenleser" erster Lesestoff. Freundliche Jesuiten kümmern sich um ihn und seine Schwester und bringen beide in einem Zirkus unter. Als Lupe zu Tode kommt, wird Juan Diego von einem schwulen Priester und seiner Transvestitengeliebten adoptiert und entwickelt sich in den USA zum erfolgreichen Schriftsteller. Dieser in breiten Traum- oder Erinnerungssequenzen dargestellte Lebenslauf wird immer wieder unterbrochen von der Erzählergegenwart des Jahres 2001. Und auch auf dieser Ebene spielen sich die sonderbarsten Dinge ab. Zwei geheimnisvolle Frauen tauchen auf, binden ihn mit zügellosem Sex an sich und bestimmen nun sein Leben bis zu seinem baldigen Tod. Die hier nur rudimentär wiedergegebene Handlung ist auf beiden Erzählebenen vielfach vermengt mit einer Fülle wundersam-mysteriöser Nebenhandlungen, philosophischen und religiösen Diskursen. Strenggläubige jesuitische Katholiken ereifern sich über agnostische Rationalisten. Aber alles ist in Spott und Ironie getaucht. Subtext, der Titel drückt es aus, ist eine teils verständnisvolle, teils sarkastisch pointierende Bloßstellung einer naiven Wundergläubig-, ja -süchtigkeit, die gerade für den lateinamerikanischen Katholizismus so typisch zu sein scheint. Unbändige Fabulierlust, detailsattes Erzählen, das Redundanzen geradezu zum Stilmittel erhebt, treiben den Roman auf fast 800 Seiten. Schon ein ziemlich krauses Stück ... Für Büchereien trotz des bekannten Autors sicher kein Muss. (Übers.: Hans M. Herzog)
Personen: Irving, John
SL Irving
Irving, John:
Straße der Wunder : Roman / John Irving. - Zürich : Diogenes-Verl., 2016. - 775 S.
Einheitssacht.: Avenue of mysteries. - aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog
ISBN 978-3-257-06966-2 geb. : 26,00 EUR
Schöne Literatur - Schöne Literatur