Stadler, Arnold
Die Menschen lügen. Alle und andere Psalmen
Buch

Wem gehören die Psalmen Wem gehören denn eigentlich die Psalmen? Diese Frage hört man, mit Seitenblick auf die kirchliche Kanonisierung biblischerTexte, aus Arnold Stadlers "Introibo" heraus, das er seiner Übertragung derPsalmen voranstellt. Als Antwort würde er wohl gelten lassen: allen jenen, die sich die Psalmen zueigen machen, ob sie diese beten und singen oder ob sie sich für ihre poetische Seite begeistern oder beides zusammen. Dazu braucht es allerdings Vermittler, Übersetzer, und deren hat es für die deutsche Sprache seit Luther schon viele gegeben. Denn die Psalmen an die Sprache der jeweiligen Zeit heranzuführen, dieser Herausforderung gilt es sich immer wieder neu zu stellen. Stadler hat das schon einmal gewagt ("Warum toben die Heiden. Und andere Psalmen", 1995), und er setzt diese Transponierungsarbeit, für die er als Theologe, Germanist und Autor die besten Voraussetzungen mitbringt, hier fort. Er sieht seinen "Übertragungsversuch", den er von der "philologisch-theologischen Ebene" einer Übersetzung bewusst abhebt, als "Zeichen der Faszination, welche das Buch der Psalmen bis heute ausstrahlt". Für ihn besteht sie in der einzigartigen "Einheit" von "Literatur und Leben", die uns in den Psalmen begegnet, und in der Unmittelbarkeit menschlicher Erfahrung, die mit großerEmotionalität aus ihnen spricht und die ihren Ausdruck in einer "Poetik" gefunden hat, die der "Dynamik des Lebens und ihrer Sprache abgelauscht" ist. Weil diese aber in einer institutionell verordneten und verfestigten Sprache, die zur Formelhaftigkeit gerinnt und einer Zeit angehört, die längst nicht mehr die unsere ist, verloren zu gehen droht, will Stadler sie"in eine[r] Sprache, die lebt", zurückgewinnen (S. 112ff.). Wie er dabei vorgeht, vermag ein Vergleich mit der "Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift" am besten zu verdeutlichen. Als Beispiel sei aus den 51 Übertragungen Stadlers, die einen Querschnitt aus den 150 Psalmen der Bibelbringen, der Beginn von Psalm 73 herausgegriffen. In der Bibelübersetzung heißt es: "Lauter Güte ist Gott für Israel, / für alle Menschen mit reinem Herzen. Ich aber - fast wären meine Füße gestrauchelt, / beinahe wäre ich gefallen. Denn ich habe mich über die Prahler ereifert, als ich sah, daß esdiesen Frevlern so gut ging." Bei Stadler, der seine Psalmen in Gedichtformschreibt, wird daraus: "Gott ist für Israel nichts als gut / für alle reinen Herzen // Und was ist mit mir? // Fast wäre ich gestolpert und umgekippt. / Denn / ich habe mich über die Reichen empört. / Ich war außer mir, als ich sah, / daß es dieser Gesellschaft so gut ging." (S. 49) Das Zurückdrängen archaischer Bilder und antiquierter Wörter sowie die Einebnung einer pathetischen Stilebene wird so mancher Leser als befreiend und wohltuend empfinden, manchem könnten freilich die dafür gesetzten Begriffe und Wendungen aus unserer Alltagswelt (z.B. "Stammtisch", "Notruf", "Gerichtstermin", "Fremdenpolizei" oder "Lebensversicherung") alszu vordergründige Aktualisierungen erscheinen. Aber gerade die Reibung mit der Tradition macht den Reiz dieser Texte aus. Wolfgang Wiesmüller *Sz* 3/2000


Personen: Stadler, Arnold

Standort: KRH Bibliothek

Leseror. Aufstellung: C1.1/5

Schlagwörter: Biblica Psalmen

C1.1/5

Stadler, Arnold:
¬Die Menschen lügen. Alle. : und andere Psalmen / Arnold Stadler. - Frankfurt/M. : Insel-Verlag, 1999. - 120 S. - Aus dem Hebräischen und Nachwort von Arnold Stadler.
ISBN 978-3-458-16964-2 fest geb. : DM 36,00 / SFr 33,00 / AT

Zugangsnummer: 2011/0144
C - Buch