Gruber, Sabine
Daldossi oder das Leben des Augenblicks Roman
Belletristik

Ein Leben nach dem Konzept des Augenblicks geführt hat den Vorteil, dass immer etwas los ist, und den Nachteil, dass nichts Zusammenhängendes passiert. Helden des Augenblicks müssen nach einer gewissen Zeit feststellen, dass sie nur zerrissene Flunsen einer Seite sind, nie aber ein größerer Text. Sabine Gruber stellt ihren Helden Bruno Daldossi in die Schredder-Anlage des Augenblicks. Er ist Kriegsberichterstatter und überall zu Hause, wo etwas in die Luft geht. Gleichzeitig geht ihm aber das Wertvollste verloren, seine Lebensliebe zur Partnerin Marlies löst sich eines Augenblicks auf wie eine abgedroschene Story. Neben den Ereignissen, die letztlich den Kriegsfotografen auf den Plan treten lassen, sind es vor allem die Wechselspiele eines heldenhaften Quartetts, die eine Art Ordnung in das Erlebnischaos bringen. Daldossi ist eine Zeitlang dienstlich mit dem Kollegen Schultheiß unterwegs, der eine sehr vorsichtige, um nicht zu sagen feige Form der Kriegsberichterstattung pflegt. Dessen Ex-Frau Johanna arbeitet als Journalistin, und knüpft unerwartet eine Beziehung zu Daldossi, nachdem dieser von Marlies verlassen worden ist. Der Roman schafft es mit raffinierten Methoden, ständig das Pixel des Augenblicks mit dem Lichtstrahl der Ewigkeit zu verbinden. Das Heldenquartett ist ständig in Bewegung zueinander und voneinander. Immer wieder halten Telefonanrufe und SMS die Gefühle auf Trab, nichts ist letztlich abgeschlossen, alles könnte ein vorläufiger Einsatz sein. In einer eigenartigen Unwucht dauert das erste Kapitel knappe fünfzehn Seiten, darin lernen die beiden Kriegsjournalisten, wie man sich im echten Einsatz in einem Minenfeld bewegt und wo die Gefahren des echten Krieges lauern. Im restlichen zweiten Kapitel hilft diese Übung aus dem Trockendock, aber das wahre Leben hält sich selten an die Übungsvorgaben. Schultheiß nennt dieses Leben zwischen echt und Übung einmal "Graurauschen" (27), darin werden die Erlebnisstrukturen amorph, am Schluss lässt sich dann gar nicht mehr genau sagen, worum es geht. Aufwühlende Klarheit verschaffen hingegen die sogenannten Kriegsbilder, die alle Handvoll Seiten im Text auftauchen. Darin wird eine Szene aus dem Desaster beschrieben, ein beinahe hörbarer Klacks macht durch Überschrift ein Foto daraus, und am Schluss wird erwähnt, wo das Bild erschienen ist. Das ist ja die Aufgabe dieser Helden, die Welt zu fotografieren, um sie anzuhalten. (258) Solange es Kriege gibt, gibt es für diese Art des Lebens kein Ende. Daldossi trifft sich mit Johanna auf Lampedusa, er kriegt bei der Anfahrt Herzrasen und sie das Kotzen. Bald gehen sie getrennte Wege, sie fliegt heim und er chartert ein Boot, um Richtung Libyen zu fahren. Einmal will er etwas Handfestes tun. In einer Danksagung verknüpft Sabine Gruber diesen aufwühlenden Roman mit Gabriel Grüner, dem größten Journalisten, den Südtirol neben Claus Gatterer hervorgebracht hat. "Doldossi" wird dadurch zu einem Stück Gedächtnis, stärker als ein Roman, stärker als die Wirklichkeit! Helmuth Schönauer


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Personen: Gruber, Sabine

Standort: Bibliothek

DR Gru

Gruber, Sabine:
Daldossi oder das Leben des Augenblicks : Roman / Sabine Gruber. - München : C. H. Beck, 2016. - 315 S.
ISBN 978-3-406-69740-1 fest geb. : ca. EUR 22,60

Zugangsnummer: 0015094001
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