Tiefenschau, unfreiwillig Edith Kneifls "Kinder der Medusa" Schon für ihren ersten Krimi "Zwischen zwei Nächten" (1991) erhielt Edith Kneifl den Glauser-Preis, nach ihrem dritten Buch "Triestiner Morgen" (1995) wurde sie taxfrei zur "österreichischen Thrillerautorin von internationalem Format" (Michael Horvath) ausgerufen. "Kinder der Medusa", ihr achter Krimi, ist vielleicht mehr noch als die vorangegangenen dem Brotberuf der Autorin verpflichtet. Kneifl ist Psychoanalytikerin, und psychologisches Feingefühl wurde ihr von Anbeginn nachgesagt. Das dürfte auch hier der Fall sein, nur dass im Lesen nicht immer ganz sicher scheint, ob die Autorin diese Art der Tiefenschau so auch intendiert hat. Auch die Ich-Erzählerin Joe, aus frühren Romanen bekannt, ist Psychoanalytikerin und unternimmt mit zwei griechischen Freunden aus Studientagen und einigen Freundinnen einen Segeltörn in Griechenland. Mit an Bord: Evangelis der Skipper, Joes ehemaliger Geliebter, der im Leben ziemlich gestrandet und dem Alkohol treu ergeben ist; Chris, Evangelis ehemals bester Freund, erfolgreicher Frauenarzt und Weiberheld; Aphrodite, seine ihm absolut ergebene Schwester; seine unglückliche Frau Regina, eine Freundin Joes, und Lisa, ebenfalls langjährige Freundin der Ich-Erzählerin, samt Tochter Kathi und schließlich noch der hübsche junge Akis, eine Art Ziehsohn von Evangelis. Ein Segelboot ist natürlich ideal für das klassische Setting des locked-room-Syndroms. Eine Handvoll Menschen, die mit einander in verschieden engen Beziehungen verflochten waren und sind, ein paar brenzlige Situationen, die die Nerven bloß liegen lassen, da kommen schnell Wahrheiten zu Tage, die keiner so genau wissen wollte. Joe, die Psychoanalytikerin, ist nicht faul und sieht recht genau hin. Sie sieht die kaputte Ehe von Chris und Regina, die sich regelmäßig in quälende Rituale und Ausfälle entlädt. Sie beobachtet die Rivalität zwischen Evangelis und Chris, dem sie auch beim Ehebruch mit Lisa zusieht. Sie beargwöhnt Chris' "väterliche" Gefühle für Kathi und registriert die schweigenden und verbissenen Alkoholexzesse ihres einstigen Geliebten Evangelis, der auch der langjährige Geliebte von Chris' Frau Regina ist. In einem seiner nüchternen Momente lässt sie sich auch auf eine kurze Erneuerung ihrer einstigen Liebesbeziehung ein. Joe beobachtet die anderen, hört dort ein verdächtiges Geräusch - wer ist da mit wem zu Gange - findet da eine eindeutige Medikamentenschachtel, registriert die wechselnden Aggressionsausbrüche und hält sich selbst dabei immer distanziert und unbeteiligt. Häufig betont sie, mit dem oder jener jetzt einmal reden zu müssen (den/die muss ich mir "vornehmen", ist die Formulierung dafür), aber letztlich tut sie's nicht oder nur halbherzig. Dass alle Freunde sie als Therapeutin missbrauchen, scheint sie sich jedenfalls mehr einzureden, als es tatsächlich der Fall ist. Nicht einmal ihr Patenkind Kathi sucht ihre Nähe - und die hätte Beistand in der Tat nötig. Mit Kathi fängt das Schlamassel nämlich an. In einem Handgemenge mit Akis, der ihr nachstellt, löst sich ein Segelbaum, der trifft den Aggressor an der Schläfe, er plumpst ins Wasser und ertrinkt. Zweifellos eine Situation, in der eine therapeutisch geschulte Tante hilfreich sein könnte, ist sie aber nicht. Instinktiv hält sich Kathi von ihr fern. Nur in einem Nebensatz erwähnt die Ich-Erzählerin, dass sie Kathi und Akis ohne Wissen von Kathis Mutter Lisa allein an Bord der "Medusa" zurückgelassen hat, weil sie durch die Hafenstadt schlendern wollte. Dieses Faktum taucht weder als Schuldgefühl noch einmal auf, noch als Vorwurf der Mutter, zumindest nicht ausgesprochen. Auf der Suche nach der abgetriebenen Leiche Akis gerät das Schiff nach einander in grobe Unwetter, Seenot, Versorgungsengpässe (mit Ausnahme von Alkohol und Zigaretten, die gehen nie aus) und an eine abgelegene Insel mit reichlich makaber geschilderten Ureinwohnern, die einiges an Xenophobie aufzubieten haben. Schließlich kehrt Chris von einem Tauchgang nicht zurück - hat da wer am Tauchgerät manipuliert? - und am nächsten Morgen liegt Evangelis tot in seiner Koje. Dazwischen, wie gesagt, reichlich Stoff und Zeit für hysterische, aggressive und erotische Auftritte in wechselnden Konstellationen. Doch so genau Joe auch die anderen beobachtet, sie merkt offenbar nicht, wie sie uns mit ihren Beobachtungen eigentlich nur ein detailliertes Psychogramm ihrer selbst liefert. Wer so hartnäckig die gleichaltrigen Freundinnen als hysterisch und zickig beschreibt und sich selbst so abgehoben in der Rolle der kühl Überlegenden zeichnet, die in allen Extremsituationen das Notwendige tut und an der Seite der Männer ihre Frau steht, der ruft einiges an Misstrauen auf den Plan. Wer so schonungslos den Alterungsprozess und seine psychischen wie charakterlichen Folgen bei anderen vermisst, der hat sich vielleicht selbst schon seit einiger Zeit nicht mehr in den Spiegel geschaut. Und wer so hartnäckig das eigene Patenkind Kathi, immerhin 18jährig und damit vollrechtsfähige Konkurrentin am Erotiksektor, mit der machistischen Formel "die Kleine" apostrophiert, der scheint ein massives Problem zu haben. Tatsächlich ist das eigentliche Thema des Romans das Altern und die erotische Kompetenz der "reifen" Frau. In einem Gespräch mit Joes neuem Liebhaber, dem Wiener Kriminalmajor Jan Serner, der wie ein deus ex machina einfliegt, um mit männlicher und polizeilicher Hilfe die angehäuften Kriminal- und/oder Todesfälle zu ordnen, wird das auch explizit und ein wenig peinlich debattiert. Für Joe geht die Sache jedenfalls gut aus, denn auch Jan merkt nicht, dass sie letztlich die unsympathischste Figur der kleinen Truppe ist. Ob die Autorin das so gewollt hat, können vielleicht nur geschulte Psychoanalytikerinnen klären. *LuK* Evelyne Polt-Heinzl
Personen: Kneifl, Edith
Standort: Bibliothek
DR Kne
Kneifl, Edith:
Kinder der Medusa / Edith Kneifl. - Berlin : Ullstein, 2004. - 280 S.
ISBN 978-3-550-08462-1 fest geb. : ca. Eur 18,50
DR - Belletristik