Kurzer Rückblick: Am Ende von „Odinskind“, dem ersten Teil der „Rabenringe“-Trilogie (siehe Rezension 1001 Buch 1|19, S. 54), sieht Hirka sich gezwungen, die Welt der Ymlinge zu verlassen. Nach dem Fall des herrschenden Rates und der Entlarvung der göttlichen Instanz des Sehers als erfunden, möchte sie die Steintore durch ihren Weggang schließen, damit kein weiteres Unheil durch sie in ihre Heimat eindringen kann. Aber weit gefehlt: Sie war nicht verantwortlich für die Aktivierung der Tore und es besteht weiterhin Gefahr für alle Welten. Nachdem sie Pettersens nordisch anmutende Fantasywelt verlassen hat, landet Hirka in Europa, womit sie den Randplatz in der Gesellschaft der Ymlinge gegen den Randplatz als Flüchtling ohne Sprach- und Kulturkenntnisse getauscht hat. Als sie allerdings ihren Vater Gral kennenlernt, ändert sich ihr Status radikal, denn er möchte sie als Hoffnungsträgerin in einem Rückeroberungskrieg gegen ihre frühere Heimat Ymsland einsetzen. Kern der Auseinandersetzung ist die Gabe, die Möglichkeit, sich mit der allgegenwärtigen Lebensenergie zu verbinden, die Hirka nicht anwenden kann, aber zu erlangen versuchen muss. Als dritte Welt wird im dritten Band das Reich der Umpiri, Hirkas Verwandtschaft väterlicherseits, eingeführt: eine Gesellschaft, in der Schwäche und Hilfsbedürftigkeit tabuisiert sind. Hirkas Chancen, in dieser Umgebung, ohne Eigenschaften dieses Volkes (wie Krallen und Selbstheilungskräfte) ihrer Rolle als Erlöserfigur zu entsprechen, scheinen verschwindend gering – noch dazu, da „Erlösung“ durch einen blutigen Sieg mit ihren Prinzipien als Heilerin unvereinbar ist. In Ymsland versucht derweil Rime zwischen politischen Intrigen und unsicheren Allianzen einen Bürgerkrieg zu verhindern. Ursprünglich aus den Perspektiven zahlreicher Figuren personal erzählt, werden die Blickwinkel im Verlauf der Serie reduziert und erzeugen so einen betonten Fokus auf die getrennten Liebenden Hirka und Rime, die die Augen des Lesepublikums in den unterschiedlichen Welten sind. Die Konzepte des Sehers und der Gabe werden mehrfach reevaluiert und halten in den beiden Texten wichtige Überraschungen parat. Züge von G.R.R. Martin, v.a. die Bereitschaft zum Dahinmeucheln wichtiger Figuren, und Verweise auf mythische Stoffe, sorgen für einen breiten Bezugsrahmen, der diese Erzählung ausmacht; neben Yggdrasil, dem Weltenbaum, der in der nordischen Mythologie alle Welten verbindet, werden u.a. der Parzival-Stoff, der Vampir-Mythos, das Motiv des Bruderzwists und das des erlösenden Kindes geschickt verwoben und adaptiert. Zusätzlich schicken Rimes Handlungen, seine folgenreichen Fehler und inneren Konflikte ihn immer weiter den Weg der tragischen Hauptfigur germanischer Heldensagen entlang. Bis zum letzten Kapitel fragt man sich also, welchen Erzähltraditionen die Autorin bis zum Ende folgt, wer leben wird, wer sterben wird und ob die Figuren an ihren moralischen Prinzipien festhalten können. Siehe weiters: Siri Pettersen: Odinskind Siehe weiters: Siri Pettersen: Fäulnis
Altersempfehlung: ab 12 Jahren.
Medium erhältlich in:
45 KÖB St. Johannes Nepomuk,
Remagen-Kripp
Personen: Pettersen, Siri Mißfeldt, Dagmar
Pette
Pettersen, Siri:
Gabe / Siri Pettersen. Aus dem Norweg. von Dagmar Mißfeldt. - Dt. Erstausg., 1. Aufl. - Zürich : Arctis, 2019. - 536 S.
Einheitssacht.: Ravneringene - Evna
ISBN 978-3-03880-015-6 Festeinband : EUR 20,00
Zugangsnummer: 2021/0069 - Barcode: 2-1250387-0-00010745-7
Romane und Erzählungen für Jugendliche ab 12 Jahre - Buch