Band 2 der Neapolitanischen Saga über das Heranwachsen zweier bildungshungriger Freundinnen und ihr Ringen um Selbstbestimmung im Italien der 1960er Jahre. (DR) In "Meine geniale Freundin", dem von Presse und Buchhandel gefeierten Auftakt ihrer Saga, schildert Elena Ferrante das Aufwachsen zweier Mädchen im Neapel der 1950er Jahre. "Zusammen mit dir und besser als du" (S. 119) - das drückt das ambivalente Verhältnis der Freundinnen aus. Die eine, Lila, immer besser, intelligenter, strahlender als die andere. Elena, stets Zweite, dem Schatten der Freundin folgend, von ihr angezogen, aber gleichzeitig auch von ihrer starken Präsenz erdrückt. Beide wissbegierige Schülerinnen, die davon träumen, ihr ärmliches Viertel mit seinen festgeschriebenen Gesetzen hinter sich zu lassen. In der rasch auf den Markt gebrachten Fortsetzung erfahren wir, wie es den Freundinnen in ihren Jugendjahren ergeht. Präzise leuchtet die unter Pseudonym schreibende Autorin die Emotionen ihrer Protagonistinnen aus: Die Faszination, die die impulsive Lila seit jeher auf die besonnene Elena ausübt. Den Neid Lilas auf ihre diszipliniert lernende Freundin, die das Gymnasium besuchen darf, was ihr, der hochbegabten Schustertochter, die sich als Dreijährige selbst das Lesen beibrachte, versagt bleibt. Elenas Bestreben, mit ihrem angelesenen Wissen zu gefallen und bei gewandt geführten politischen Debatten bei ihrem heimlichen Schwarm Eindruck zu machen. Lilas Wut, weil sie sich durch ihre Heirat mit einem wohlhabenden Lebensmittelhändler in eine ausweglose Lage hineinmanövriert hat. Ihre innere Erstarrung, als sie, 16 Jahre und verheiratet, isoliert in ihrer modernen Wohnung sitzt, wie in einem goldenen Käfig, eine kostbare Tauschware im Besitz ihres Ehemannes. Wieder hat sie das Gefühl, all ihre Konturen zu verlieren, sich aufzulösen. Elenas Lehrbücher schiebt sie in Abwehrhaltung von sich, zu groß ist die Angst vor ihrer elektrisierenden Wirkung. Tiefgründige Gespräche mit einem Studenten in der Sommerfrische fachen Lilas Wissensdurst erneut an. Als sie sich auf eine leidenschaftliche Amour fou einlässt, bewegt sie sich auf einem schmalen Grat. Ich-Erzählerin Elena, die sich stets für Lilas Pläne instrumentalisieren ließ, löst sich nun erstmals aus dem Schatten ihrer Freundin und beginnt, die Fesseln ihrer Herkunft abzuschütteln. Eindrücklich macht Ferrante in diesem Sittengemälde die Möglichkeiten der Frauen in der Nachkriegszeit und die Wirkmechanismen in der Gesellschaft deutlich: Die Gewaltbereitschaft der Männer und der Einfluss der Camorra schweben unheilvoll über den Zeilen des Bildungsromans. Ferrante nimmt sich ausreichend Zeit, um die Ereignisse, die für das Auf und Ab dieser Freundschaft bedeutsam sind, mit psychologischem Scharfsinn auszugestalten. Trotz erkennbarer Brüche, trotz Distanz und Entfremdung bleiben die beiden Frauen einander verbunden, hat sich die eine mit ihren Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen in das Leben der anderen eingeschrieben. Der in elegantem Stil verfasste Frauenroman, der die Lebensumstände seiner Protagonistinnen, ihre Freude und ihren Schmerz, virtuos auslotet, ist gemeinsam mit Band 1 allen Büchereien zu empfehlen!
Serie / Reihe: Neapolitanische Saga 2
Personen: Krieger, Karin Ferrante, Elena
Ferrante, Elena:
¬Die¬ Geschichte eines neuen Namens / Elena Ferrante. Aus dem Ital. von Karin Krieger. - Berlin : Suhrkamp, 2017. - 623 S. - (Neapolitanische Saga; 2)
ISBN 978-3-518-42574-9 : EUR 25,0
Romane, Erzählungen, Dramen, Lyrik, Sammlungen - Signatur: Fer - Buch