Aller Gleichberechtigung zum Trotz handelt es sich bei weinenden Männern scheinbar immer noch um ein Tabuthema. Die in wenigen, sehr warmen Farben gehaltenen Zeichnungen von Wiebke Oeser führen uns sehr anschaulich vor Augen, wie unterschiedlich Erwachsene und Kinder darauf reagieren. Der kleine Ich-Erzähler versucht eigenständig zu erfassen, warum der Mann auf der Straße so ungehemmt weint. Die Gefühlswelt des Buben und auch des traurigen Mannes kommt in den in Braun-, Gelb- und Grüntönen gehaltenen Bildern weit mehr zum Tragen, als in dem diese begleitenden Text. Der erstaunte Blick der Mutter, die sich sogleich vom Geschehen abwendet, die großen, fragenden Augen des kleinen Jungen, die rote Nase und die hängenden Schultern des Mannes gewähren Einblicke in die Gefühle, Fragen, Ängste des Ich-Erzählers, der sich zu Beginn des Buches auf Papas Aussage "Männer weinen nicht!" beruft. Ohne die Frage nach dem Warum gelöst zu haben, kehrt er nach Hause zurück und erzählt dem Papa voller Begeisterung und Überzeugung von seiner Beobachtung: "Ich habe heute einen Mann gesehen, der hat richtig doll geweint." Auch auf der letzten Doppelseite ist es wieder das Bild, das mehr erzählt als alle Worte: Der Vater umarmt seinen Sohn tröstend, sitzend in einem gemütlichen Sessel, umstrahlt von einer wärmenden Lampe. Dieses Buch will keine Antworten geben, es will wach rütteln, es will den Leser, den Betrachter anregen zum Weiterdenken, es zeigt, dass Kinder Fragen haben und Antworten suchen, dass manches Gefühl in einer innigen Umarmung gut aufgehoben ist. Aber es fordert vor allem den erwachsenen Vorleser zum offenen Gespräch auf, darüber, warum der Mann weinen könnte und natürlich darüber, warum Männer auch weinen dürfen. Kinder finden mit Sicherheit eine Antwort darauf, und wenn nur in dem Briefkuvert, das bereits zu Beginn der Geschichte aus der Jackentasche des weinenden Mannes lugt. (LHW.Lesen.Hören.Wissen/Dr. Martina Koler/www.biblio.at)
Personen: Oeser, Wiebke Jeschke, Mathias
Standort: OEW
Ein Mann, der weint / Mathias Jeschke. Mit Illustrationen von Wiebke Oeser. - 1. Aufl. - Rostock : Hinstorff, 2011. - [o.Z.] : überw. Ill.
ISBN 978-3-356-01414-3
B_Bilderb/L_illustr.