Vom Krieg Erzählen ist eine Unmöglichkeit und gleichzeitig ein gängiges Thema in der Literatur. Vom Krieg Erzählen für jugendliche Leser_innen geschieht auf ganz unterschiedliche Arten: Eng an historischen Fakten orientiert oder sehr verfremdet, das Leben einer realen Person nachempfindend oder nur lose an tatsächliche Begebenheiten angebunden. Nun sind zwei Bücher erschienen, die für dieses Erzählen vom Krieg eine durchaus ungewöhnliche Figurenkonstellation abseits von Familie oder Freundesgruppe wählen: Jeweils ein kleines Mädchen und ein erwachsener Mann begegnen einander mitten im Krieg und gehen ein Stück des Weges gemeinsam. Die flämische Autorin Aline Sax, promovierte Historikerin, wählt für „Das Mädchen und der Soldat“, eine Geschichte aus dem Ersten Weltkrieg, eine mehrperspektivische Form: Ein blindes kleines Mädchen und ein aus Afrika stammender Soldat kommen auf jener Bank ins Gespräch, auf der das Mädchen immer sitzt, wenn die Mutter im Gasthaus, das hinter der Frontlinie liegt, die Soldaten bewirtet. Die Sicht des Mädchens ist jeweils auf weißes, die Sicht des Soldaten auf dunkles Papier gesetzt. Die Illustrationen von Ann de Bode sind ausschließlich in Dunkelgrün gehalten und entsprechen damit ganz dem Thema des Krieges, dem sie sich variantenreich annähert: von sehr konkreten Darstellungen aus dem Feldlazarett bis hin zu angeschnittenen Bilddetails, die Raum für eigene Deutungen lassen. Als der Soldat eines Tages nicht auf der Bank sitzt, beschließt das Mädchen, ihn suchen zu gehen – und gerät dabei in gefährliche Nähe zur Front. Am Ende des schmalen, kleinformatigen Bandes haben die beiden einander schließlich gefunden – und so ist das letzte kurze Kapitel auf dunkelgrünes Papier gesetzt. Der amerikanische Autor Gavriel Savrit hingegen schreibt mit „Anna und der Schwalbenmann“ einen klassischen Roman. Die Handlung setzt 1939 in Krakau ein – die siebenjährige Anna steht buchstäblich allein auf der Straße, nachdem die Deutschen ihren Vater, einen jüdischen Intellektuellen, mitgenommen haben. Da trifft sie auf einen rätselhaften Mann, der nicht nur wie sie mehrere Menschensprachen, sondern auch die Sprache der Vögel zu sprechen scheint: „Es stand außer Frage, dass der große Fremde eine beunruhigende Ausstrahlung hatte. Es ging etwas Bedrohliches von ihm aus, eine leise Intensität, die nichts gemein hatte mit den gängigen Eigenschaften, mit denen die Menschen sich bei Kindern anzubiedern versuchen.“ Die beiden sind von da an gemeinsam unterwegs: Eine Odyssee durch Städte und Wälder beginnt, für die der Schwalbenmann einerseits klare Regeln (beide tragen keinen Namen mehr) vorgibt, andererseits auch viele Fragen aufwirft (Was hat es mit dem Babyschuh in seiner Tasche auf sich? Was für Tabletten nimmt er?), die bis zum Ende nicht aufgeklärt werden. Als nach eineinhalb Jahren Herumwandern ein Mann namens Reb Hirschl zu den beiden stößt, kommt auch das Grauen von Krieg und Holocaust näher. Nach dem Tod von Reb Hirschl beginnt der Schwalbenmann sich zu verändern, und allmählich dreht sich das Kräfteverhältnis zwischen Anna und dem Schwalbenmann um – bis dieser schließlich so unvermittelt verschwindet, wie er in Annas Leben getreten war. Mit poetischen sprachlichen Wendungen und dem Mut, so viele Aspekte der Handlung offen zu lassen, ohne je auf eine phantastische Ebene auszuweichen, erzählt Savrit von Leben und Überleben dieses ungewöhnlichen Duos, dessen Verhältnis zwischen Distanz und Vertrautheit, zwischen Geborgenheit und Angst changiert. So wie sich auch das Mädchen und der Soldat kaum kennen und sich doch sehr verstanden fühlen … Bei beiden Büchern stellt sich die Frage der Zielgruppe beziehungsweise der Alterszuschreibung – wollen Jugendliche ein Buch lesen, in dem ein Kind und ein Erwachsener die Hauptfiguren sind? Diese Frage kann letztlich nur jede Jugendliche, jeder Jugendlicher selbst für sich beantworten – die Rezensentin wäre geneigt, sie für irrelevant zu halten, solange es sich um eine gut erzählte Geschichte handelt. Und das trifft auf beide besprochene Bücher, so unterschiedlich sie sein mögen, zweifellos zu. Siehe weiters Aline Sax: Das Mädchen und der Soldat
Personen: Savit, Gavriel
Savit
Savit, Gavriel ¬[Verfasser]:
Anna und der Schwalbenmann / Gavriel Savit. Aus dem Engl. von Sophie Zeitz. Ill. von Laura Carlin. - München : cbt, 2016. - 271 Seiten
ISBN 978-3-570-16404-4 Festeinband : EUR 17,50
Jugendbücher (bis 12 Jahre) - Buch