„Unsere kleine Farm“ – reloaded! Wer Lauren Wolks Debütroman „Das Jahr, in dem ich lügen lernte“ aufschlägt, findet sich im Herbst im Jahr 1943 in einem kleinen, familiären amerikanischen Landwirtschaftsbetrieb wieder, ein Szenario, wie man es vielleicht aus der US-amerikanischen Fernsehserie kennt. Doch Achtung – wer eine seichte Familiensaga wie die der Ingalls erwartet, täuscht sich: Schon nach wenigen Seiten findet man sich in der Wolfsschlucht wieder und begegnet zusammen mit der fast zwölfjährigen Annabelle dem Bösen in Gestalt des Mädchens Betty. Betty ist neu am Ort und seit sie da ist, ist es für die Ich-Erzählerin Annabelle vorbei mit dem beschaulichen Einerlei zwischen häuslichen Pflichten und Schule, in dem sie sich eingerichtet hat. Denn Betty, die als erziehungsschwierig gilt und daher zu ihren Großeltern aufs Land geschickt wurde, hat sich vorgenommen, Annabelle das Leben schwer zu machen. Sie lauert ihr auf dem Schulweg auf, droht, erpresst, demonstriert ihre Macht auch durch Gewalt. Als Annabelles Schulfreundin Ruth, getroffen von einem Stein, ein Auge verliert, ist für Annabelle nahezu klar, wer dafür verantwortlich ist. Aber Betty gelingt es, den Verdacht auf Toby, den Fremden zu lenken, was vielen am Ort plausibel erscheint, schließlich ist Toby – ja wer ist eigentlich Toby? Mit diesem Ereignis nimmt der Krimi an Fahrt auf. Gehetzt wird der Landstreicher Toby, der äußerlich verwahrlost und offenbar nicht an Gesellschaft interessiert, tagein tagaus mit drei Gewehren und einer Kamera umherzieht. Aber Annabelle hat seit jeher Interesse für und wie ihre Mutter eine Zuneigung zu dem Einsiedler. Man mutmaßt, dass er traumatisiert aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrt und darum so sonderbar ist. Aber sollte er deshalb den Stein, der nach Bettys Theorie eigentlich einem deutschen Einwanderer gegolten und Ruth nur zufällig verletzt habe, geworfen haben? Annabelle ist vom Gegenteil überzeugt, öffnet sich ihren Eltern und organisiert, während die Suche nach Toby auf Hochtouren läuft, eine geschickte Parallelaktion, um die Wahrheit über Betty ans Licht zu bringen. Landschaft und Gesellschaft werden in diesem Roman vor der Folie der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs in Europa, der seine Schatten auch auf den weit entfernten Kontinent wirft, zu einem kontrastreichen, poetisch dichten Panoramagemälde zusammengeführt, in dem die Luft durch die Spannung zu vibrieren scheint. Diese steigert sich bis zum Schluss, der mit zwei Toten endet und den Leser doch besänftigt mit Annabelle zurücklässt, die ihr Ziel erreicht, ihrer Intuition und der Wahrheit die Treue gehalten sowie dem Leben, das nicht in dem Gut-Böse-Schema ihrer Kindheit aufgeht, die Stirn geboten hat. Ein exotischer, atmosphärisch dichter Kriminalroman voller Poesie, der entführt und mit seiner einfachen Wahrheit, dass der Mensch nie nur gut oder böse ist, und seiner Widerstandkämpferin Annabelle auf besondere Art und Weise berührt.
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Personen: Wolk, Lauren
Wolk, Lauren:
¬Das¬ Jahr, in dem ich lügen lernte / Lauren Wolk. Aus dem Engl. von Birgitt Kollmann. - München : Carl Hanser, 2017. - 269 S.
ISBN 978-3-446-25494-7 fest geb. : EUR 16,00
Schöne Literatur - Signatur: Wolk - Buch