Zwei Schwestern und ein Mann. (DR) "Zehn Tage nach Kriegsende lenkte meine Schwester Laura ein Auto von einer Brücke." So beginnt der eine Roman in Atwoods ausgreifendem Familienepos, in dem die 83-jährige Iris Griffen versucht Klarheit in ihre Lebensgeschichte zu bringen. Der zweite Roman, die Geschichte einer geheimen, leidenschaftlichen Liebe, deren Protagonistin lange ein Rätsel bleibt und innerhalb derer der Liebhaber die fantastische Geschichte vom blinden Mörder erzählt, die dem Gesamtwerk den Titel liefert, wird parallel dazu erzählt. Dazwischen finden sich auch noch Zeitungsausschnitte, die auf Ereignisse der erzählten Welt Bezug nehmen. Ein kompliziertes Erzählgeflecht also, mit ständig wechselnden Zeitebenen. Iris bewegt sich in der Erzählung ihrer Geschichte ständig zwischen der Gegenwart, in der sie mit den Misslichkeiten des Altwerdens kämpft, und der Vergangenheit, die sie Schritt für Schritt aufrollt. Iris und ihre von Temperament und Charakter ganz unterschiedliche jüngere Schwester sind die Töchter eines wohlhabenden Knopffabrikanten in Kanada, die unter der strengen Obhut einer Haushälterin aufwachsen. Während der Depression gerät die Firma des Vaters zunehmend in Schwierigkeiten. Beide Mädchen erliegen der Ausstrahlung des charismatischen linken Gewerkschaftsagitators Alex Thomas, den sie sogar vor der Verfolgung durch die Polizei in ihrem Haus verstecken. Dieser Mann wird das Leben und das Verhältnis der beiden Schwestern zueinander entscheidend bestimmen. Welche Rolle wer in diesen Beziehungen spielt, hält die Erzählerin bis ganz zum Schluss im Dunkeln und das macht auch das Spannungspotential dieses sehr umfangreichen Romans aus. Um die Firma des Vaters zu retten, heiratet Iris einen deutlich älteren Fabrikanten, mit dem sie eine freudlose Ehe führt. Trotzdem macht die Firma des Vaters Konkurs und nach seinem Selbstmord muss die sehr eigensinnige und schwer lenkbare Laura zu Iris und ihrem Mann ziehen. Hier passieren Dinge, die das Verhältnis der Schwestern schwer belasten. Als Iris ihre Schwester, die inzwischen nicht mehr im Haus der Griffens lebt, berichtet, dass Alex Thomas im Krieg gefallen ist, fährt Laura mit Iris' Auto von der Brücke. Nach dem Tod Lauras erscheint posthum ihr Roman "Der blinde Mörder", der Laura zur Kultautorin macht, weil hinter der Heldin, einer jungen Frau, die sich in Absteigen verbotenerweise mit einem Mann trifft, um sich hemmungslos ihrer Gier nach Liebe und Sex hinzugeben, Laura selbst vermutet wird. Die große Überraschung am Schluss darf hier selbstverständlich nicht verraten werden! - Atwood packt viel in diesen Roman hinein, der über weite Strecken faszinierende Lektüre darstellt und ein weiteres Mal belegt, dass sie immer für ungewöhnliche Frauenporträts gut ist.
Personen: Atwood, Margaret
Atwood, Margaret:
Der blinde Mörder : Roman / Margaret Atwood. - Berlin : Berlin Verl., 2000. - 691 S. - Aus dem kanad. Engl. von Brigitte Walitzek
ISBN 978-3-8270-0013-2 fest geb. : ATS 350,00 / € 2
Buch