Reuter, Timo
Warten eine verlernte Kunst
Buch

Kurzzusammenfassung „Ständig müssen wir warten, auf den nächsten Bus und die große Liebe, auf eine Nachricht oder einen Neuanfang. Jedes Mal ist der Stillstand eine Bewährungsprobe, denn als moderne Menschen haben wir eines natürlich nie: Zeit. Als privilegiert gelten diejenigen, die alles ohne Verzögerung bekommen. Doch um welchen Preis? Liegt nicht gerade im Warten das Glück? ‚Wer die Kunst des Wartens nicht beherrscht, dem geht auch die Gelassenheit verloren – und die Vorfreude‘, sagt Timo Reuter. Er betrachtet das Warten als Sandkorn im Getriebe der pau¬senlosen Verwertungsmaschine. Und als Möglichkeit, uns neue Freiräume zu öffnen. In seinem Buch voller unterhaltsamer Geschichten und erstaunlicher Erkenntnisse untersucht er den politischen Gehalt des Wartens, dessen subversives Potenzial sowie die beglückende Kraft des Nichtstuns, der Muße und des Verweilens. Just in time, alles sofort und immer in Bewegung – es ist höchste Zeit für eine neue Kultur des Wartens, die sich dem Rausch der Beschleunigung widersetzt!“ (Verlagsinformation) Der Philosoph und Journalist Timo Reuter skizziert in seinem Buch „Warten. Eine verlernte Kunst“ das Bild einer Wartegesellschaft, die ihren kostbars¬ten Besitz: die Zeit totzuschlagen versucht. Wie konnte es dazu kommen und was lässt sich dagegen tun? Ständig müssen wir warten: auf den Bus, den Feier-abend, den Urlaub, Dienstleistungen, die große Liebe oder ein besseres Leben. Deutsche stehen im Jahr durchschnittlich 70 Stunden im Stau (siehe Gräff 2015) und warten darauf, weiterfahren zu können. Diese Wartezeiten lassen ein Gefühl der Ohnmacht und des Kontrollverlustes entstehen, da wir abhängig sind von dem Bus, auf den wir war¬ten, und nichts tun können, damit dieser schneller kommt. Dabei steckt in diesen meist unerwünschten Wartezeiten die Chance zur Entschleunigung; bieten sich Möglichkeiten, die im stressigen Alltag oft zu kurz kommen (vgl. Reuter 2019, S. 13ff.). Überblick Einleitend setzt sich Timo Reuter mit dem Begriff des Wartens auseinander. Zu diesem Zweck wirft er einen Blick in den Duden. Als Wesensmerkmale des Wartens benennt er: die Orientierung auf ein Ereignis hin, die Zeit bis dahin sowie die Abhängig¬keit, die sich in einem Gefühl der Ungewissheit und Fremdbestimmung äußert (vgl. ebd., S. 14f.). In Kapitel II beschreibt er historische Entwicklungen der Zeit. Im Zuge der Industrialisierung und der Erfindung der Uhr haben sich das Warten und das Zeitgefühl verändert. Pünktlichkeit wurde wichti¬ger und es wurde fortan viel kleinteiliger gedacht, d.h., es wurde in Minuten und Stunden anstatt in Tagen, Wochen und Monaten gedacht – kurzweili¬ges Warten wurde fühlbar. „Erst seit die Zeit in die Uhr gepresst wird, kann Wartezeit überhaupt zu ‚verlorener Zeit‘ werden“, so Reuter (2019, S. 38) in diesem Zusammenhang wörtlich. Die nächsten beiden Kapitel behandeln die Themen Geschwindigkeit sowie Verdichtung der Zeit, be¬schrieben wird, was dadurch verloren gehen kann. Besonders paradox scheint das Versprechen der Moderne zu sein, durch die Zeitersparnis, welche die technischen Entwicklungen bringen sollen, mehr Zeit zur Verfügung zu haben. In den Tag, welcher im¬mer noch 24 Stunden lang ist, packen wir vielmehr immer mehr Inhalt und müssen somit das eigene Zeitmanagement noch stärker optimieren (vgl. ebd., S. 44ff.). Bücher werden nicht mehr gelesen, sondern überflogen oder durch Zusammenfassungen ersetzt. Es wird gelernt statt gebildet. Schlussendlich leiden durch die hohe Geschwindigkeit soziale Beziehun¬gen, kritisiert Reuter (2019, S. 77ff.) weiter. In Kapitel V beleuchtet Reuter das Stehen in der Warteschlange. Hintergrund des Schlange-Stehens ist das Prinzip, dass die Zeit jedes/jeder Wartenden gleich viel wert ist, also der Wunsch nach Gerech¬tigkeit und Chancengleichheit. Aber hat wirklich jede/r dieselbe Chance, fragt Reuter (2019, S. 99)? Er beschreibt hierfür u.a. die unterschiedlichen Kulturen des Schlange-Stehens von Bogotá über Nigeria bis hin zur ehemaligen DDR, in welcher Warteschlangen als Symbol planwirtschaftlichen Versagens galten (vgl. ebd., S. 104ff.). Die Macht von Zeit und die Kraft des Wartens, wie etwa das kollektive Warten im Falle eines Streiks, sind Themen der Kapitel VI und VII. Wer über seine/ ihre eigene Zeit verfügen kann, ist mächtig. Noch mächtiger ist, wer über die Zeit anderer verfügen kann. In diesem Zusammenhang werden von Reuter auch bestehende Ungleichheiten in der Gesellschaft etwa in Bezug auf Geschlecht, Hautfarbe oder Ein¬kommen aufgegriffen, welche sich in der ungleichen Verteilung von Wartezeiten wiederfinden (vgl. ebd., S. 117ff.). Die letzten beiden Kapitel zeigen Möglichkeiten für ein Entkommen aus der „Beschleunigungsma¬schinerie“ auf. Sie beinhalten Ratschläge zur Ent¬schleunigung und bewussten Langsamkeit, denn das Verweilen im Moment (anstatt bloß zu warten) öffne den Blick für das Besondere. Reuter (2019, S. 175) nennt es „Das kleine Glück des Wartens“. Ziel der Entschleunigung ist es, selbstbestimmt über die eigene Zeit zu entscheiden, doch das ist ein Privileg, das sich nicht jeder und vor allem nicht jede leisten kann. Resümee Das Buch ist in kurze Abschnitte gegliedert und durch viele Geschichten wie auch Anekdoten alltagsnah und leicht zu lesen. Was das Buch in¬teressant macht, ist die humorvolle und teilweise auch ironische Art und Weise, mit welcher Timo Reuter die teils widersprüchlichen Entwicklungen beschreibt und dabei kulturelle Unterschiede hervorhebt. Obwohl der Autor das Thema der Erwachsenen¬bildung nicht ausdrücklich aufgreift, bietet das Buch einige Anknüpfungspunkte – schließlich steht auch diese nicht selten unter dem Diktat der Zeit und der Beschleunigung. Entsprechend Reuters Forderung nach einer neuen Kultur, welche sich dem „Rausch der Beschleunigung“ widersetzt, wäre eine entschleunigte Erwachsenenbildung eine Erwachsenenbildung, die sich dem hohen Tempo entgegenstellt. Denn wie Reuter deutlich macht, benötigt Bildung Zeit. Es braucht Zeit, um Wis¬sen nicht nur zu speichern, sondern wirklich zu verstehen. Literatur Gräff, Friederike (2015): Warten. Erkundungen eines ungeliebten Zustandes. Berlin: Ch. Links.


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Personen: Reuter, Timo

Interessenkreis: Interessantes

Reuter, Timo:
Warten : eine verlernte Kunst / Timo Reuter. - Frankfurt : Westend, 2019. - 239 S.
ISBN 978-3-86489-269-1 kart. : ca. € 16,40

Zugangsnummer: 00003478
Buch