Ein Roman ist letztlich nichts anderes als ein Stück inszenierter Wirklichkeit, wobei ein Text im Hintergrund als Anlass für die Inszenierung mitläuft. Wolf Haas bringt seine Romane jeweils professionell auf die Literaturbühne, indem er zum Erscheinungstermin für alle Tageszeitungen ein ganzseitiges Interview gibt. Dabei wird immer erklärt, was der Roman nicht ist und welche Bedeutung die Innovation für den konkreten Fall hat. Der Leser überprüft in der Folge den Wahrheitsgehalt des Interviews und kauft und liest beiläufig den Roman zur Kontrolle. Die Handlung des Romans besteht vielleicht darin, den Leser bei der Hand zu nehmen und ihm das Gehen im Text, sprich Lesen beizubringen. Der Protagonist Benjamin Lee Baumgartner kommt immer wieder in den Sog einer Liebesgeschichte, die sich ähnlich wie die Vogelgrippe verbreitet. Wie bei einer Epidemie sind Schutzmaßnahmen notwendig, gleichzeitig aber auch ein Abchecken der seelischen Befindlichkeit. Tatsächlich verändert sich in diesem Liebesstrom alles, aber es lässt sich nicht beschreiben. Eine Ursache für die Irritation ist sicher das Sprachgefüge, im Englischen geht es dann im entscheidenden Augenblick um kleine Nuancen, etwa wenn jemand "Gevögel" statt Geflügel bestellt." (100) Und im Chinesischen löst sich das Schriftbild auf, verkleinert sich bis zu einem grauen Fleck und hinterlässt nur den Eindruck einer unverständlichen Botschaft. London 1988 und Peking 2006 sind für den Helden jeweils Anlass einer Epidemie und Sprachverstörung. Der Ich-Erzähler, der das alles auf die Reihe bringen soll, geht mit sich selbst ans Limit, erleidet dann auch einen Erzähl-Unfall und muss in die Erzähl-Reha. Für den Leser ist bald klar, dass Erzählen auch gefährlich werden kann. Neben dem humorvollen Umgang mit Geschichte, Erwartung, Ablenkung und Sackgasse eines Plots werden immer wieder handfeste Überlegungen zum Geschichten-Erzählen eingebaut. So darf kein Name genannt werden, wenn wirklich etwas Aufregendes wie in der Liebe passieren soll. Stadtbeschreibungen und Wetterbeschreibungen kann sich der Leser selbst machen, es genügt im Zeitalter von Word, wenn man den Befehl "einfügen" hinschreibt. Ab und zu muss es die Chance für Querlesen geben, dabei wird eine Zeile diagonal über die Seite gedruckt. Oft ist es egal, was gedruckt ist, Hauptsache es schaut wie ein Text aus, als Beweis für diese These ist ein Kapitel in Mikrozeilen gedruckt. Philosophisch gesehen sollte man sich beim Erzählen an Tarski halten, wonach kein Satz etwas über sich selbst aussagen darf. Und nichts ist letztlich so unmöglich darzustellen, wie das Unauffällige. Daraus ergibt sich auch der wundersame Buchtitel. "Die Verteidigung der Missionarsstellung" ist ein Plädoyer dafür, das Normale normal zu belassen, und somit quasi das Gegenteil einer Erzählung. Wolf Haas zerlegt die Lesererwartungen mit großer Ironie, gibt dem Leser aber dann doch noch einen Funken Hoffnung, dass alles wieder gut werden könnte, um den nächsten Roman zu lesen. Helmuth Schönauer
Rezension
Personen: Haas, Wolf
Haas, Wolf:
Verteidigung der Missionarsstellung : Roman / Wolf Haas. - Hamburg : Hoffmann und Campe, 2012. - 238 S.
ISBN 978-3-455-40418-0
Romane, Erzählungen und Novellen - Signatur: DR Haas - Buch