Ransmayr, Christoph
Atlas eines ängstlichen Mannes
Belletristik

Christoph Ransmayr: "Atlas eines ängstlichen Mannes" Das Schwere mit leichten Schritten tragen Wenn einer siebzigmal eine Geschichte beginnen läßt mit den Worten "Ich sah", dann ist das in Zeiten wie diesen ein Statement. Es heißt: ich war dabei, ich bin kein virtuell Reisender, ich erhebe Anspruch auf Authentizität und beschreibe die Welt so, wie sie sich meinen Augen dargeboten hat. "Wie ich es sehe" hieß Peter Altenbergs berühmtes Skizzen-Buch (1896), ein Titel, der offenläßt, ob das "ich" oder das "sehe" zu betonen ist. Der Dichter als Seher und Augenzeuge, das ist eine anachro­nistische Haltung. Und auch wenn der Autor in seiner Vorbemerkung meint, daß "(fast) jede Episode" auch von einem anderen erzählt worden sein könnte: dem ist eben nicht so. Jedenfalls neunundsechzig Geschichten spielen, wie der Autor verrät, an Orten, die Christoph Ransmayr tatsächlich mit eigenen Augen gesehen hat. Die Reise durch dieses Buch könnte mit dem ersten Stück beginnen: Sein Schauplatz ist die Osterinsel, vielmehr ein Schiff mit Kurs auf die Osterinsel, auf dem der Autor einem sehr dünnen Einheimischen begegnet, der gegen den Drang ankämpft, sich zu Tode zu hungern. Der letzte Text heißt passend "Die Ankunft" und erzählt von einer Höhle in Nepal und drei flüsternd betenden Mönchen, die dem erschöpften Bergsteiger Zuflucht gewähren. Da dies aber ein Atlas ist, darf man darin auch blättern, lesen und weiterblättern. Ransmayrs literarische Kartographie deckt Brasilien, Sumatra und den Nordpol genauso ab wie Roitham und Lambach. Sie durchmißt nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit: ­Einige Begegnungen und Erlebnisse liegen Jahrzehnte zurück. Das einzelne Blatt in diesem Atlas ist ein Mittelding zwischen Erzählsplitter und Ansichtskarte: es sind kleine und größere Abenteuer, bald merkwürdige, bald unerhörte Begebenheiten, Kurioses, Schreckliches, Erhabenes und Ergreifendes, eingebettet in präzise, zugleich sachliche und bildhafte Beschreibungen aus gediegen gedrechselten Sätzen. Vorgeführt werden besondere Reisebekanntschaften und seltsame Tiere; des öfteren beobachtet das globetrottende Ich, das offenkundig Christoph Ransmayr heißt, geisteskranke Menschen, im Wiener Donauspital, in der Otto-Wagner-Kirche am Steinhof oder auf Leros, der griechischen Gefängnisinsel der Junta, und immer wieder wird es mit dem Tod konfrontiert. Zum Beispiel aus der Ferne, in einer die ganze Schönheit des kunstvollen Spektakels auslotenden Beschreibung eines Stierkampfs zu Pferd in Sevilla, in dem der Rejoneador dem Stier nicht das Leben schenken durfte, weil nur eine einzige Stimme unter den Tausenden Zuschauern seine Begnadigung verlangte. Oder, ganz unmittelbar, als eine kolossale Buckelwalkuh in den Tiefen der Karibik sozusagen den Spieß umdreht und den whale watcher, den Taucher, aufs Korn nimmt. Oder auf Franz-Joseph-Land in der Arktis, auf den Spuren der k.k. Polarexpedition, die Ransmayr in seinem ersten Roman "Die Schrecken des Eises und der Finsternis" beschrieben hat, ohne dort gewesen zu sein. Nun erlebt er, was er darin geschildert hat, am eigenen Leib: die Begegnung mit einer für zwei Jungen zuständigen Eisbärin, ein Treffen, das nur wegen deren Desinteresse gut ausgeht. Gleichsam um Grashalmbreite entgeht der Erzähler dem Tod im Hochland Boliviens, wo er dem Maschinengewehrfeuer eines Jagdfliegers entkommt. Es sind Männergeschichten, die Ransmayr uns erzählt, Geschichten vom Tauchen und von der Jagd, vom Reiten und vom Fischen. Doch der Mann, der sie erlebt hat, bekennt offen seine Angst, beschreibt sie, die Todesangst, die Spielarten ihrer körperlichen Erscheinungen: das Leichtwerden, die knieweiche Auflösung, die Erstarrung. Nein, dieser Mann (er weiß es wohl selbst) ist nicht ängstlich, er ist vielmehr einer, der Angst hat, wenn es keine Schande ist, Angst zu haben. In "Luftangriff" wird von einem Rollentausch berichtet. Die übervorsichtige Reisegenossin ist es, eine italienische Ärztin, die in einem Anflug von Tollkühnheit die Piloten mit der geballten Faust herausfordert und beim Einschlag der ersten Geschoße auf der baumlosen Fläche weiß, daß sie sich auf den Boden werfen müssen. Wo den Erzähler der unerschütterliche Abflug eines Käfers tröstet. Keineswegs alle Episoden kreisen um das Innenleben des Ich, oft steht ein Fremder im Focus: der irische Fischer, der nicht fassen kann, daß er in sechzig Körben nur einen Hummer gefangen hat - und ihn am Ende wieder ins Meer wirft; das Mädchen, das in Katmandu in jenem Fluß, in dem die Überreste der verbrannten Toten herumschwimmen, angelt - nicht nach Fischen, sondern nach Schmuck­stücken. Die meisten der kurzen Texte haben eine Pointe, bisweilen halbversteckt oder mit lange glosender Lunte, bisweilen zugespitzt, stets aber ins Offene und Unwägbare der Existenz weisend. Und wer hat schon die Gelegenheit, seine Einsichten in die Rätsel des Lebens Aug in Aug mit einem zwanzig Tonnen schweren Wal zu gewinnen? In letzter Sekunde korrigiert die Walkuh ihren Kurs: "Aber obwohl sie mir mit dieser Andeutung einer Seitwärtsbewegung auswich und damit mein Dasein immerhin wahrnahm und anerkannte, glaubte ich in ihrem Blick eine so abgrundtiefe Gleichgültigkeit zu sehen - vergleichbar der eines Berges gegenüber dem, der ihn besteigt, der des Himmels gegenüber dem, der ihn durchfliegt -, daß ich mich ein Gefühl überkam, als müßte ich mich unter diesen Augen ohne den geringsten Rest auflösen, müßte unter diesen Augen verschwinden, so, als hätte ich nie gelebt." In diesem Buch trägt Christoph Ransmayr das Schwere mit leichten Schritten, man möchte fast sagen: graziös. Vielleicht liegt es an der Kürze der Stücke, daß kein Bleigewicht den immer wieder neu gesetzten Spannungsbogen beschwert. Kaum stellen sich Pathos und Feierlichkeit ein, sind sie im Handumdrehen fortgewischt. Aus den gesammelten Notizen eines Reiselebens ist ein Buch wie aus einem Guß geworden, jede Miniatur auf das feinste gearbeitet, in sich geschlossen, und doch mit den anderen netzartig verbunden. Angesichts der dramatischen Szenen könnte man leicht übersehen, daß der "Atlas eines ängstlichen Mannes" noch etwas anderes enthält: eine verschämte Autobiographie. Um auch die Geschichte vom Tod des Vaters, bei dem er nicht dabei war, mit "Ich sah" beginnen zu können, greift der Erzähler zu einer Finte. Er beschwört die leere Parkbank in Lambach, auf der sein Vater eines heißen Julitages in kurzen Hosen gesessen war (Ransmayr schreibt, kosmopolitisch aufgenordet, immer "gesessen hatte"), als ihn der Herzschlag traf. In der klösterlichen Totenkammer tröstet der Gehilfe den weinenden Sohn angesichts der blauen Verfärbung des Leichnams: "am Abend wird Ihr Vater wieder sein, wie er war." Fügt man jene verstreuten Episoden zusammen, die in Österreich spielen, fällt Licht auf eine verborgene Geschichte des Persönlichsten. Am prägnantesten ist wohl "Sturmschaden": als die Mutter mit dem Buben auf dem Dachboden des oberösterreichischen Lehrerheims die Wäsche aufhängt, trägt der Sturm den Dachstuhl ab und schleudert die Balken in den Schulhof. Die beiden bleiben unverletzt, aber das Heiligtum der Brüder, der Verschlag im Gebälk, ist zerstört, ihr geheimer Schatz liegt fremden Blicken preisgegeben und wird von den Erwachsenen entzaubert: "Das Zeichen, das die rot-weißen Fahnen trugen, hieß Hakenkreuz, der goldene Adler auf seinem Sockel war ein Reichsadler aus Gips, die Lanzen waren Standarten einer Wehrmacht und die kurzen Schwerter in ihren schwarzen Scheiden Zierdolche der SS. Der Ritter in der silbernen Rüstung hieß Adolf Hitler." Es wäre keine große Überraschung, würde Christoph Ransmayr sich demnächst ausführlicher seiner Biographie widmen. Man ist aber auch dankbar für das Wertvolle dieser Fragmente. Gottlob bleiben zwischen Kaiser-Franz-Joseph-Land und dem Kaiser-Franz-Joseph-Jubiläums-Lehrerheim von Roitham so noch genug weiße Flecken. *Literatur und Kritik* Daniela Strigl Kampf ums Mysterium Auf die österreichische Literaturkritik ist Verlass: Sie lässt die Landsleute nie im Stich. Erscheint ein neues Buch von Arno Geiger, so wird es rückhaltlos gelobt, der Autor hat sich ja ein wichtiges Thema vorgenommen, und Themen sind in der Literatur heute sowieso alles; außerdem hatte es der Autor am Anfang ziemlich schwer, da muss man zu ihm halten. Thomas Glavinic kann ein noch so überflüssiges Buch schreiben, es landet auf der ORF-Bestenliste, die zu jedem Saison-Beginn mit Österreich-Titeln so verstopft ist, dass so manche internationale Größe erst spät oder gar nicht zum Zug kommt. Unsere Leitsterne seit den 1970er Jahren, die Großmeister der "Grazer Gruppe" sind sowieso sakrosankt - Bedenken werden, wenn überhaupt, auch in ausführlichen Rezensionen nur verhalten formuliert. Peter Handke ist eo ipso mit jedem neuen Buch wieder der Größte. Und wenn uns Christoph Rans­mayr nach einigen Petitessen ­endlich mit einem opus magnum beglückt, ist natürlich vorbehaltloser Jubel angesagt. Die Österreichhuberei (© Franz Haas) kennt keine Grenzen. Dabei musste man, als Christoph Ransmayr bei den Rauriser Literaturtagen zum ersten Mal aus seinem "Atlas eines ängstlichen Mannes" las, Schlimmes befürchten; das lag allerdings auch an der dortigen Inszenierung. Schon Ransmayrs Ankündigung, das Buch werde erscheinen, "wenn sich der Buchmesse-Nebel hoffentlich gelichtet haben wird" (Klartext: Achtung, ich spiele in einer anderen Liga!), musste Erwartungen wecken, die die Texte nicht einlösen können. Schlägt man das Buch auf, wird einem gleich ein Merksatz entgegengewuchtet: "Geschichten ereignen sich nicht, Geschichten werden erzählt." "Na bah!" möchte man mit Sigismund, dem Compagnon des Theaterdirektors im Wiener Praterkasperl, ausrufen angesichts dieser Binsenweisheit. Auch die Textanfänge haben es in sich: "Ich sah", bekommt man da siebzigmal zu lesen - diese Anleihe aus der Johannes-Apokalypse riecht zusammen mit der heiligen Zahl siebzig bedenklich nach Sakralisierung. Schiebt man diesen Verdacht beiseite und versucht, unvoreingenommen zu lesen, so rückt allerdings eine andere Funktion der Formel "Ich sah" in den Vordergrund: die der Augenzeugenschaft. Ransmayr hat abgelegene, unzugängliche oder unbekannte Orte quer über den Globus (nur Afrika ist auffällig unterrepräsentiert) besucht und das beschrieben und zu kurzen Erzähl-Sequenzen verdichtet, was er selbst gesehen und erlebt hat. Für dieses jahrzehntelange Reise-Unternehmen abseits der Touristenströme, für die Strapazen und Gefahren, die er dafür auf sich genommen hat, gebührt ihm jeder Respekt. Gibt es überhaupt einen Schriftsteller, der so viel von der Welt gesehen hat? Unter den kurzen, immer nur wenige Seiten langen Texten, in denen er davon erzählt, finden sich Preziosen, die man nicht mehr vergisst. Etwa die Erzählung vom Luftangriff von Militärmaschinen im bolivianischen Hochland auf Ransmayrs Gruppe; der Autor muss sich zu Boden werfen und sieht in dieser dramatischen Situation, wie sich direkt vor ihm ein Käfer durch ein Grasbüschel hervorkämpft - und fühlt sich plötzlich in die Mooslandschaften seiner Kindheit versetzt. Immer, wenn die Fremde zum plötzlichen und unerwarteten Zugang zu frühen Erinnerungen wird, entsteht eine Dichte, die Ihresgleichen sucht; etwa wenn ein blinder Karaoke-Sänger in den Mangrovensümpfen von Sumatra Ransmayr in das Dorf seiner Herkunft versetzt. Mit einem Text dieser Art findet das Buch auch einen fulminanten Schussakkord: In einer Höhle im westlichen Himalaya in der Grenzregion zwischen Nepal und Tibet wird der Autor von den Flüsterstimmen dreier Mönche zurückkatapultiert in sein Kinderbett. "Nun war ich angekommen", lautet denn auch der starke Schlusssatz. Die Kürze dieser Szenen ist ihre Stärke und auch ihre Schwäche. Das Scharfstellen des Erzähl-Objektivs auf wenige Augenblicke schafft eine große Konzentration - etwa bei der Beobachtung einer Buckelwalkuh in etwa dreißig Meter Wassertiefe in der Dominikanischen Republik. Liest man diese kurze Erzählung, so weiß man genau, dass Literatur etwas zu leisten imstande ist, was auch den aufwändigsten Unterwasser-Dokumentationsfilmen und präzisen Internetinformationen nie gelingt. Doch leider enthält das Buch auch schwächere Szenen, die bei der Lektüre an einem vorbeirauschen und schnell verglühen - Szenen, bei denen man nicht so genau weiß, warum man sie eigentlich zu lesen bekam. Und manchmal schließt das Momenthafte Informationen aus, mit denen ein volles Verstehen des Beschriebenen erst möglich wäre - etwa beim Terror der tamilischen Separatisten. Am schwächsten wird das Buch dort, wo Ransmayr dieses Prinzip des Momenthaften unterläuft - vor allem durch Schlüsse, die das Gesehene zur Parabel erheben oder zu einer Weltdeutung in nuce machen sollen. Das ist bemüht, gekünstelt oder einfach an den Haaren herbeigezogen; zum Beispiel wenn das Zurückfließen eines Stromes in Kambodscha die rückwärtsgewandten Vorstellungen der Roten Khmer abbildet. Gerade an den Schlüssen zeigt sich, dass es Ransmayr - im Unterschied zu vielen klassischen Reise-Texten etwa von Heinrich Heine oder Joseph Roth - nicht um die Reflexion des Gesehenen geht, sondern um seine Poetisierung. Er reflektiert ja nicht nur, wie Uwe Schütte in der "Wiener Zeitung" treffend bemerkt hat, seine Rolle als privilegierter europäischer Reisender nicht und inszeniert sich in den Texten als archaischer Welt-Wanderer, ohne sich damit auseinanderzusetzen, dass er das nur sein kann, nachdem er zuerst ein stinknormaler Interkontinentalflug-Passagier gewesen sein muss. Ransmayrs Schlüsse lassen zwar hinter dem Gesehenen das Unerklärliche der Welt durchscheinen. Aber wie sie das tun, ist immer eindeutig; nie mündet die Erzählung in konkurrierende Deutungen. So droht diesen Texten eine Gefahr, für die sonst religiöse Texte besonders anfällig sind: Sie kippen schon ins Mysterium, wo man noch bei den Details bleiben und sein Denken zur Sprache bringen möchte. Und dass Zeitangaben systematisch vermieden werden (nur in wenigen Fällen erschließen sie sich aufgrund politischer Ereignisse), ist auch ein Mittel, Zeitenthobenheit zu suggerieren (wenn nicht gar sie mit Überzeitlichkeit auszustatten). Auffällig ist, dass Ransmayr immer wieder Kampf und Gewalt beobachtet - besonders an Tieren. Eine Szene, die in mehreren Rezensionen lobend hervorgehoben wurde, ist die Beschreibung eines Stierkampfes in Sevilla. Gerade hier zeigen sich jedoch die entscheidenden Schwächen dieses Erzählens. Indem es sich auf das konzentriert, was zu sehen ist, und dabei stehen bleibt, ästhetisiert es den Kampf und wird zum Komplizen der Quälerei; so könnte man auch eine Folter oder Hinrichtung meisterlich beschreiben. (Vielleicht offenbart gerade der Stierkampf, auf welcher Seite ein Schriftsteller steht: auf der des gequälten Stieres wie Thomas Bernhard oder auf der seiner Peiniger wie Ernest Hemingway.) Weil die Erzählung Vorwissen ausblendet und nicht davon spricht, wie die Stiere schon vor dem Kampf misshandelt werden, damit sie geschwächt sind, wird der Eindruck eines ebenbürtigen Kampfes zwischen Stier und Torero erweckt. Und der Zusammenhang zwischen Faschismus und Stierkampf wird sowieso verschwiegen. Skeptisch macht ein Blick auf das Wortmaterial. Das Buch prunkt - den oft exotischen Schauplätzen geschuldet - mit Namen: Weihnachtssturmtaucher, Maskentölpel, Meerläufer, Feenseeschwalben, Asiatische Kurz­zehenlerche, Paradiesfliegenschnäpper, Araukarie, Rotmilan, Flammenbaum, Cempesúchil - um nur einige Tier- und Pflanzennamen aus den ersten hundert Seiten anzuführen. Diese Namen suggerieren Präzision, und gibt man sie in die Google-Suchmaschine ein, kann man sie mit Bildern füllen und seine Bildung erweitern. Anders steht es um die sparsam verwendeten Adjektive: Die Steinfiguren auf der Osterinsel sind kolossal, die Geduld eines Fotografen unerschöpflich, ein Aufenthaltsraum kahl, ein Knall ohrenbetäubend, die Morgensonne grell und kalt; auch wenn "das tiefe Blau der südlichen Ägäis" in den Blick kommt, greift der Erzähler quasi in den ersten bereitstehenden Farbtopf - zum Nächstliegenden und Konventionellsten. Erhebt sich da nicht die Frage, ob Ransmayr nicht eher die Beschreibung des Außergewöhnlichen gelingt als die außergewöhnliche Beschreibung, diese Königsdisziplin der Literatur? Nie geht er durch das Zentrum einer Hauptstadt, die jeder kennt, um es zu beschreiben, wie sie noch nie beschrieben wurde. Dabei gehören die wenigen Szenen, die in Ransmayrs oberösterreichischer Heimat spielen, zu den Höhepunkten des Buches: die Beschreibung des Sekundentodes seines Vaters, das Hundegebell in der Winterlandschaft seiner langjährigen Lebensgefährtin oder der Kauf weißer Lackschuhe, bei dem ein Vater jede Freude seiner Tochter erstickt. Ransmayr hat seinem jahrzehntelangen Reisen Erzählungen abgewonnen, von denen manche beweisen, dass nicht nur fiktionales, sondern auch faktenbasiertes und auf reale Orte bezogenes Erzählen die höchsten Prosagipfel zu erklimmen vermag. Schade nur, wenn man die Defizite daran nicht mehr sieht oder nicht benennen will, weil der Autor berühmt ist. Und als österreichischer Schriftsteller hierzulande noch dazu unter Artenschutz steht. Literatur und Kritik* Cornelius Hell


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Personen: Ransmayr, Christoph

DR
RAN

Ransmayr, Christoph:
Atlas eines ängstlichen Mannes / Christoph Ransmayr. - Frankfurt a. M. : S. Fischer, 2012. - 455 S.
ISBN 978-3-10-062951-7 fest geb. : ca. Eur 25,70

Zugangsnummer: 0022120001 - Barcode: 6104224632
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