Das Werk de Lubacs, als Erstlingsarbeit des Autors 1938 erschienen, eröffnete eine Wesensschau des Katholischen, die damals in ihrer Berücksichtigung des Universalen, des Sozialen und Solidarischen ein Neuheitserlebnis auslöste. In dieser Sicht erwies sich der Katholizismus als »soziales« Gebilde, und zwar sowohl in seinem dogmatischen Kern wie
in seinen Auswirkungen bis hin in die Bereiche des natürlichen Lebens. Was darunter im einzelnen zu verstehen ist, erklärt im ersten Kapitel, in dem das
Credo, die Verfassung, die sakramentale
Struktur und das Ziel der Kirche behandelt werden, vor allem die unter dem Stichwort »das Dogma« gegebene dogmatische Grundlegung des Ganzen. Es ist die Begründung der Einheit des Menschengeschlechts auf der Wahrheit von
der einen Schöpfung durch den einen Gott, der sich im Menschen sein einziges Abbild schuf, so daß man nach Gregor v. Nyssa »ebenso wenig wie von drei Göttern auch je vom Menschen in der
Mehrzahl sprechen dürfte«.
Diese Grundbefindlichkeit menschlicher Solidarität, dieser »soziale Charakter« des begnadeten Menschseins wird in der Ursünde zwar pervertiert, die deshalb nach patristischem Denken die Zerspaltung und »Individualisation« der Menschen bringt, ohne aber die Verpflichtung zur Gemeinschaft und die Sehnsucht nach ihr zu zerstören. Hier kann Christus anknüpfen, der nach einer bildhaften, aber doch realistischen Aussage des Paschasius Radbertus »jene Nadel ist, die, in der Passion schmerzlich durchbohrt, künftig alles zusammenzieht und so den einst von Adam zerrissenen Rock wiederherstellt«.
Daß sich dieser »Zusammenschluß« nicht nur von oben her (durch Schöpfung, Erlösung, die Kirche und ihre Sakramente) realisiert, sondern sich auch
im Horizontalen der Geschichte ereignet, erweisen die Kapitel des zweiten Teils über »Die Bedeutung der Heiligen Schrift« und (wiederum) über das Thema »Kirche«, das überhaupt als der cantus firmus in allen Teilen gegenwärtig ist. Eine zentrale Bedeutung kommt hier den Erwägungen über »Die alleinseligmachende Kirche« zu. In Vorwegnahme
der heutigen Problematik und unter Einsatz eines sensiblen hermeneutischen Bewußtseins, das das alte Verständnis des »extra ecclesiam nulla salus« im Spiegel eines neuen Verstehens durchaus
ernst nehmen kann, findet de Lubac zu
der Erklärung, »daß es für die Menschheit als Ganzes ohne die Kirche kein Heil geben kann, und daß hier eine strenge Notwendigkeit .. . vorliegt, von der nichts zu entbinden vermag« (207).
Hier ist auch schon die moderne Aporie
aufgezeigt, in die Theorie vom »anonymen Christentum« führt; denn, »wenn einer schon durch ein anonym besessenes Ubernatürliches gerettet werden kann, wie läßt sich ihm dann die Pflicht klarmachen, dieses Übernatürliche durch das Bekenntnis zum christlichen Glauben und durch seine Unterwerfung unter die Kirche ausdrücklich
anzuerkennen?«
Wie hier aus dem Solidaritätsgedanken die Verwiesenheit der »Welt« auf die Kirche abgeleitet wird, so führt dieser Gedanke auch in reziproker Weise zur Verpflichtung des Christen auf diese
Welt, was u. a. in den Themen »Die
Verantwortlichkeit des Christen«, »Soziale Bewegung und Katholizismus« (im
dritten Teil des Bandes) und in den Erwägungen zur Frage der »Anpassung« entfaltet wird. Das zum letzten Thema Gesagte läßt aber genauso wie das über »Die Erneuerung« Ausgeführte erkennen, daß nur das angenommen werden kann, »was assimilierbar ist« und daß es bei der Erneuerung »scharfer Unterscheidungsgabe« bedarf. Von dieser gibt der Autor in dem bei einer solchen
Betonung des Solidaritätsprinzips vom
kritischen Leser nahezu erwarteten Kapitel über »Person und Gemeinschaft«
selbst eine Probe. Sie gipfelt in dem Gedanken von der Person als »zweifache Form der Gegenwärtigkeit«, nämlich in Form der Differenz und in Form der Solidarität.
So ist »Catholicisme« - der ursprüngliche Titel, den man zur Wiedergabe des einmalig Atmosphärischen dieses Werkes nicht entbehren kann - ein
weitschauender Vorentwurf der heutigen, allerdings um vieles zugespitzten Problematik mit den ihr gemäßen Antworten aus der Fülle des bleibend Katholischen. Man wird sich heute wohl nicht mehr in allen Bereichen, die sich unter dieser Denomination zusammenfinden, bereit erklären, dieses aus dem Reichtum der Einheit quellende Denken nachzuvollziehen. Aber es ist der Geist,
dem auch die Pastoralkonstitution des
2. Vatikanums über »die Kirche in der Welt von heute« verpflichtet ist, an deren theologischer Bearbeitung de Lubac beteiligt war
Personen: De Lubac, Henri
Theol/Ekk 01
De Lubac, Henri:
Katholizismus als Gemeinschaft. - 1. Auflage. - Einsiedeln/Köln : Verlagsanstalt Benziger, 1943. - 424 Seiten
Festeinband : 5,00 EUR
Theologie - Ekklesiologie - Buch