Ich bin kein Berliner. Ich bin auch nicht Deutschland . Die Social-Marketing-Kampagne des letzten Jahres Du bist Deutschland hat mich nur irritiert. Ich kenne mich hier nicht wirklich aus. Vor fünfzehn Jahren kam ich nach Ostberlin, aus Gründen, die mir bis heute rätselhaft geblieben sind. Wahrscheinlich war es bloß Neugier auf die Welt und ungebremste Reiselust, die mich damals nach Berlin trieben. Die Reise erwies sich als fatale Entscheidung. Einmal hier gelandet, kommt man kaum mehr weg. Berlin bindet.
Alle Einheimischen, die ich im Laufe der Jahre kennengelernt habe, wollten immer als Erstes wissen, wieso ich damals ausgerechnet Berlin beziehungsweise Deutschland als Reiseziel gesucht hatte. Meine Ausweichantworten. Es hat sich so ergeben oder Ich bin in den falschen Zug gestiegen, konnten sie nicht zufriedenstellen. Wenn ich aber zur Abwechslung sagte, ich fände Deutschland gut und Berlin sei eine tolle Stadt, wollte mir das einfach keiner glauben.
Die Eingeborenen zeigen sich in der Regel sehr kritisch ihrem Land und ihrer Stadt gegenüber. Erst vor kurzem traf ich in unserer Stammkneipe einen Journalisten aus Bochum, der genau wie ich vor fünfzehn Jahren nach Berlin ausgewandert war und mich nicht nach den Gründen meiner damaligen Abreise fragte. Von sich behauptete er sogar ungeniert, ihm wär es schon immer klar gewesen, dass er hier in einem Paradies lebe. Alle Gäste, die unserem Gespräch lauschten, hatten sofort Abstand von dem Mann genommen. Die Wirtin vermutete später, er wäre unter Drogen gestanden. Inzwischen weiß ich, was diese lästige Fragerei soll: Es ist eine Art Flirt. Das Land will gefallen, sch sich aber, es öffentlich zuzugeben. Unsere Liebesbeziehung steckt deswegen permanent in einer Krise, die aber für beide Seiten fruchtbar ist.
Personen: Kaminer, Wladimir
Kaminer, Wladimir:
Ich bin kein Berliner - Ein Reisführer für faule Touristen / Wladimir Kaminer. - 10. - München : Goldmann, 2007. - S.213
ISBN 978-3-442-54240-6 8,95
R 11 - Signatur: R 11 Kam - Belletristik Erw.