Frisch, Max
Mein Name sei Gantenbein
Belletristik Erw.

Mein Name sei Gantenbein ist ein Roman des Schweizer Schriftstellers Max Frisch. Er wurde im Herbst 1964 veröffentlicht und zählt gemeinsam mit Stiller und Homo faber zu Frischs Prosa-Hauptwerk. Frisch greift in Mein Name sei Gantenbein mit der Frage nach der Identität eines Menschen und seiner sozialen Rolle ein Hauptthema seines Werks auf. Der Erzähler erfindet für sich nach einer gescheiterten Beziehung wechselnde Identitäten, um der eigenen Erfahrung aus unterschiedlichen Blickwinkeln nachzuspüren. Der spielerische Umgang mit Biografien und Fiktionen folgt dem Motto äIch probiere Geschichten an wie Kleiderô und findet in einer literarischen Montage kurzer Erzählabschnitte seine formale Umsetzung. Von seiner Frau verlassen, sitzt der Erzähler in einer leeren Wohnung mit abgedeckten Möbeln. Er sagt, er habe eine Erfahrung gemacht und suche nun die Geschichte dazu. Er probiere Geschichten an wie Kleider. Dabei sei jedes Ich, das sich ausspreche, bloß eine Rolle, jeder Mensch erfinde sich selbst die Geschichte, die er für sein Leben halte. Als Beispiel erzählt er vom Milchmann, der verrückt wird, weil sich seine Identität verbraucht hat und ihm keine neue einfällt, und vom eingebildeten Pechvogel, der seinen Lotteriegewinn lieber verliert, als sein Selbstbild verändern zu müssen. Er erfindet einen Mann namens Theo Gantenbein, der durch einen Autounfall zu erblinden droht. Als ihm der Verband abgenommen wird, kann er sehen, doch er spielt nun die Rolle des Blinden. Ausgerüstet mit Blindenstock und schwarzer Brille muss er nicht auf die Welt reagieren, wie sie ist, muss er nicht wahrnehmen, was er sieht. Da fortan niemand mehr seine Kontrolle oder sein Urteil fürchtet, wachsen seine Beliebtheit und sein gesellschaftliches Ansehen. Als Gantenbein einer Frau namens Camilla Huber vor ihren Karmann läuft, muss er sie nicht als Prostituierte erkennen. Regelmäßig besucht der Blinde sie als Maniküre und erzählt ihr äwahreô Geschichten. Er erzählt ihr vom Mann, der seine eigene Todesanzeige erhält und seiner Beerdigung beiwohnt. Er erzählt ihr das Märchen von der Liebe des Schafhirten Ali und seiner blinden Frau Alil. Camilla erkennt, dass Gantenbein nicht blind ist, doch sie verspricht zu schweigen, wenn er über sie schweige. Ein Zahnarzt möchte sie heiraten, doch am Vortag der Hochzeit wird sie ermordet. Die Anklage richtet sich gegen eine bekannte Persönlichkeit, die bereits die Veröffentlichung der an Camilla gerichteten Briefe ruiniert. Gantenbein, vor Gericht als Zeuge geladen, hat den Angeklagten zur Tatzeit gesehen, doch er gibt ihm kein Alibi, um nicht aus seiner Blindenrolle zu fallen. Der Erzähler erfindet noch andere Personen: Felix Enderlin und Frantisek Svoboda. Enderlin, der überraschend einen Ruf nach Harvard erhält, aber auch glaubt, todkrank zu sein, ist unfähig, eine Rolle zu spielen und fürchtet nichts mehr als Wiederholung und Monotonie. Wenn er eine Frau kennenlernt, weiß er schon im Vorhinein, wie sich die Beziehung entwickeln wird. Svoboda, ein baumlanger Böhme, dessen Ehefrau Lila eine Affäre mit Enderlin beginnt, geht alleine auf Reisen und wartet stoisch auf ihre Entscheidung, ob sie zukünftig an seiner Seite, an der Seite des Anderen oder alleine leben will. Alle drei Männer kreuzen sich in ihrer Beziehung zu einer Frau namens Lila, einer Schauspielerin, die von allen drei Männern geliebt wird. Gantenbein vergleicht seine Beziehung zu ihr mit jener von Philemon und Baucis. Zu Beginn sind beide glücklich. Er als Blinder muss nicht bemerken, dass sie ihm untreu ist, Lila muss sich vor ihm nicht verstellen. Alle Anzeichen, dass er sehen kann, übergeht sie. Doch ihn belasten mehr und mehr die Zeichen ihrer Untreue. Da ist ein junger Mann aus Uruguay namens Einhorn, da sind dänische Briefe, die sie vor ihm verbirgt, da ist eine verschlossene Schublade, in der sich bloß seine eigenen Briefe befinden. Die Beziehung zwischen Gantenbein und Lila könnte enden, als sie ein junger Schauspielschüler aufsucht, den Gantenbein für seinen Nebenbuhler hält und mit Lila zusammen im Schlafzimmer einschließt, worauf diese nicht mehr mit einem Verrückten zusammenleben will. Lila könnte auch eine Tochter bekommen, doch an Gantenbein nagt der Zweifel, ob nicht ein Herr Siebenhagen der Vater sei. Als er Lila schließlich gesteht, dass er all die Jahre gesehen hat, fühlt sie sich von ihm verraten und weist ihn ab. Am Ende erzählt der Erzähler Camilla eine Geschichte von einem Zürcher, der sterben wollte, ohne einen Namen und eine Geschichte zu hinterlassen. Beinahe sei es dem Toten tatsächlich gelungen, namenlos im Sarg in der Limmat davon zu treiben. Seinen eigenen Tod vor Augen, wird der Erzähler durch eine Instanz verhört, welche seiner Figuren er selbst gewesen sei. Als er wieder in der Gegenwart angelangt, kommt es ihm vor, als sei alles gar nicht geschehen. Er sitzt unter südlicher Spätsommersonne, das Leben gefällt ihm. Frischs Arbeit an Mein Name sei Gantenbein reichte zurück bis ins Jahr 1960. In diesem Jahr veröffentlichte er in der Weltwoche den Text Unsere Gier nach Geschichten, der zu einem programmatischen Entwurf für den Roman wurde. Unter anderem schrieb Frisch: äMan kann die Wahrheit nicht erzählen. [à] Alle Geschichten sind erfunden, Spiele der Einbildung, Entwürfe der Erfahrung, Bilder, wahr nur als Bilder. Jeder Mensch, nicht nur der Dichter, erfindet seine Geschichten - nur daß er sie, im Gegensatz zum Dichter, für sein Leben hält - anders bekommen wir unsere Erlebnismuster, unsere Ich-Erfahrung nicht zu Gesicht.ô Frisch schrieb drei Jahre lang am Roman.


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Personen: Frisch, Max

Frisch, Max:
Mein Name sei Gantenbein / Max Frisch. - 1. - München : Süddeutsche Zeitung, 2004. - S. 313
ISBN 978-3-937793-31-3

Zugangsnummer: 0055425001 - Barcode: 10567142
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