Religionen lassen sich wie Menschen durch ihre Aporien charakterisieren. Im Urchristentum werden allgemeine menschliche Widersprüche in religiöser Sprache kodiert: der Widerspruch von Geschichte und Mythos, Universalismus und Partikularismus, Radikalismus und Relativismus, Sinn und Faktizität, Determination und Freiheit. Das Aufdecken solcher Widersprüche ist kein Irrationalismus, sondern lässt eine rationale Struktur der Religion erkennen, insofern diese Widersprüche zur menschlichen Existenz gehören. Man kann den (nach-neutestamentlichen) Trinitätsglauben als eine in sich konsequente Bearbeitung dieser Widersprüche interpretieren: Der Glaube an den Sohn bearbeitet das Problem des Leidens, der Glaube an den Heiligen Geist das Problem menschlicher Freiheit. Beide Probleme bilden den Kern des Theodizeeproblems, das sich so scharf und zugespitzt nur in einer monotheistischen Religion stellt.
Enthalten in:
Evangelische Theologie; 2004/3 Zweimonatsschrift
(2004)
Serie / Reihe: Evangelische Theologie
Personen: Theißen, Gerd
Theißen, Gerd:
Widersprüche in der urchristlichen Religion : Aporien als Leitfaden einer Theologie des Neuen Testaments / Gerd Theißen, 2004. - S.187-200 - (Evangelische Theologie) Neutestamentliche Theologie
Zeitschriftenartikel