In diesem Aufsatz wird Wilhelm von Humboldts Beschreibung seiner Reise durch das Baskenland ("Die Vasken") als empirische Bildungsforschung interpretiert, die einem Ansatz folgt, den man nach heutigem Sprachgebrauch als ethnographisch oder kulturanthropologisch bezeichnen kann. Im Mittelpunkt steht dabei die Analyse des theoretischen und methodologischen Forschungskonzeptes sowie der Ergebnisse von Humboldts Baskenstudie. Zu diesem Zweck wird die Baskenstudie vor dem Hintergrund von Humboldts Schrift "Plan einer vergleichenden Anthropologie" interpretiert. Es wird herausgearbeitet, dass sich die Baskenstudie auf vergleichend-anthropologische Fragen zur Charakterbildung richtet und dabei die Empirie und Spekulation miteinander verbindende Methode der vergleichenden Anthropologie verwendet. Die Analyse der Ergebnisse der Baskenstudie macht deutlich, dass es Humboldt gelingt, die vergleichend-anthropologische Bildungstheorie in einer Weise weiterzuentwickeln, dass sie später in der preußischen Bildungsreform praxisrelevant werden kann. Eine kritische Betrachtung der Ergebnisse der Baskenstudie macht aber auch auf eine grundlegende methodologische und gleichzeitig bildungstheoretische Problematik ethnographisch orientierter Bildungsforschung aufmerksam. Mit dieser Interpretation von Humboldts Baskenstudie leistet die Abhandlung einen Beitrag zur historischen Reflexion über Theorie und Methodologie kulturanthropologischer Bildungsforschung, die auch den aktuellen Bemühungen um den Einsatz ethnographischer Forschung in der Erziehungswissenschaft noch Anregungen geben kann.
This paper interprets Wilhelm von Humboldt's travelogue of his voyage to the Basque country ("Die Vasken") as an empirical study on human development ("Bildung") that applies an ethnographic research approach. Against the background of Humboldt's comparative anthropological considerations the paper focuses on the underlying theory and methodology as well as on the results in Humboldt's study of the Basques. It will be shown that in 'Die Vasken' Humboldt directs his attention at anthropological questions on character building ("Charakterbildung") through applying his anthropological method which combines empirical research with philosophical speculation. The analysis of the results of Humboldt's study of the Basques demonstrates that Humboldt succeeds in developing his anthropological theory of "Bildung" in such a way that he can apply his new insights later in practice in the reform of the Prussian educational system. Finally, a critical reflection about the results of "Die Vasken" points out a central methodological and at the same time educational problem in ethnographic research on "Bildung". With this interpretation of Humboldt's study of the Basques the paper provides a historical reflection about theory and methodology in educational anthropology that offers still important insights for actual ethnographic research in the field of education.

Enthalten in:
Zeitschrift für Erziehungswissenschaft; 2012/4 (2012)

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Serie / Reihe: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft

Personen: Mattig, Ruprecht

Schlagwörter: Bildungsforschung Ethnographie Empirie Kulturanthropologie