Bibel in gerechter Sprache
Buch

Die Bibel ist ein Buch des Lebens. Darum wollen die in ihr erzählten Lebens- und Glaubenserfahrungen des Volkes Israels mit ihrer Gottheit, die aktuell auslegbaren, existenziellen und befreienden Charakter haben, immer wieder neu zum Klingen gebracht werden, um dem in den biblischen Texten verborgenen lebendigen Gespräch Gottes mit den Menschen zu jeder Zeit behutsam und Schritt für Schritt näher zu kommen. Dieses Anliegen verfolgt u.a. die "Bibel in gerechter Sprache" (BigS). Sie hat sich zum Ziel gesetzt, "in heutiger Sprache und für heutige Menschen die alten Texte so zu übertragen, dass sie als Fremde verstehbar und herausfordernd nah, als Nahe und Bekannte neu und herausfordernd fremd werden" (Einleitung, 9-26, 11). 52 TheologInnen waren fünf Jahre lang als ÜbersetzerInnen in diesem ökumenischen Bibelprojekt tätig. In deren Arbeit wurde die Öffentlichkeit per Internet und durch Praxiserprobung der Texte in kirchlichen Gruppen miteinbezogen. Die BigS stellt sich dem Anspruch, sich so nahe wie möglich am hebräischen, aramäischen und griechischen Ausgangstext zu orientieren, und unternimmt gleichzeitig den Versuch, eine aktuelle und zeitgemäße Begrifflichkeit in deutscher Sprache zu finden. Bereits kurz nach ihrem Erscheinen im Oktober 2006 in der ersten Auflage vergriffen, hat sie einiges in (Bibel-)Wissenschaft und Kirche in Bewegung gebracht, wird sie ja einerseits einseitig kommentiert, andererseits wertschätzend dargestellt, mit Freude verwendet und kritisch gewürdigt. Die leider zum Teil sehr polemisch und polarisierend geführte Diskussion um die BigS berührt grundsätzliche Fragen theologischen Denkens und Sprechens und bildet mitunter Reaktionen aus Bibelwissenschaft und Journalismus ab, die sich dem Anschein nach zum ersten Mal mit jahrelang bekannten Forschungsergebnissen, etwa aus der feministisch-theologischen Forschung, auseinandersetzen. So haben in die BigS u.a. Erkenntnisse aus der feministischen Exegese, die mithilfe der Kategorie "Geschlecht" Hermeneutik, Methodologie sowie die Auslegung biblischer Texte und deren Rezeptionsgeschichte kritisch auf ihre Androzentrismen hin befragt und neue Zugänge zu biblischen Texten ermöglicht, Eingang gefunden. Das Bibelprojekt belebt zunächst die Diskussion um grundsätzliche Fragen des Übersetzens und Verstehens von Texten und zeigt Chancen und Grenzen dieses Tuns auf. Jedes Übersetzen von einem Sprachraum in einen anderen ist eine Ersetzübung und bedeutet immer Gewinn, aber auch Verlust, da die Übersetzung dem Original an Ausdruckskraft selten gleich kommt. Im mühsamen Ringen um geeignete Formulierungen geht es nicht um eine Wort-für-Wort-Wiedergabe, sondern darum, die Aussageabsicht des jeweiligen Verses zu transportieren. Zusätzlich stellt jeder Übersetzungsversuch immer eine Interpretation dar, ist nie abgeschlossen und hängt allzeit von den hermeneutischen Voraussetzungen ab, mit denen die ÜbersetzerInnen an die biblischen Texte herangehen: "In der Exegese, beim Übersetzen gibt es keine Objektivität - wissenschaftliche Redlichkeit zeigt sich darin, das eigene Vorverständnis und die Entscheidungskriterien offen zu legen."4 Die "Bibel in gerechter Sprache" macht diese ihre Herangehensweise transparent. Dabei gelten soziale Gerechtigkeit, Gerechtigkeit im Hinblick auf den jüdisch-christlichen Dialog und Geschlechtergerechtigkeit als drei wesentliche Konstanten der BigS, die in der Befreiungstheologie, der feministischen Theologie und dem christlich-jüdischen Dialog verwurzelt ist und Erkenntnisse aus der neueren theologischen Forschung ernst zu nehmen versucht. Dabei meint gerechte Sprache nicht-diskriminierend im weitesten Sinne. Die BigS vermeidet antijüdische und rassistische Sprachmuster, spricht geschlechterfair und will die Vielfalt der biblischen Gottesbilder sichtbar machen. Die Anordnung der biblischen Bücher folgt entgegen der Gliederung der Bibelausgaben in der katholischen Tradition, welche sich an die griechische Übersetzung (Septuaginta: LXX) hält, dem ursprünglichen Aufbau der Hebräischen Bibel (Tora; Prophetische Bücher; Schriften). Im Anschluss daran finden sich die in der katholischen Tradition deuterokanonisch und in der evangelischen apokryph genannten Schriften nach dem Umfang der lateinischen Übersetzung (Vulgata) aus dem Jahre 1592, jedoch in anderer Abfolge. Darunter lassen sich die griechischen Fassungen der bereits als Übersetzung aus dem Hebräischen im AT eingeordneten Bücher Daniel und Ester vorfinden. Das Neue Testament bildet in bekannter Reihenfolge den Abschluss des Kanons. Jeder Kanonteil sowie jedes biblische Buch sind mit einer kurzen Einleitung, Anmerkungen in Form von Fußnoten, die im Anhang nachzulesen sind, sowie äußerst wertvollen Glossarverweisen versehen, die jenen, die über keine Hebräisch- bzw. Griechischkenntnisse verfügen, einen Zutritt zur jeweiligen Sprachwelt ermöglichen. Finden sich im biblischen Text Begriffe von zentraler theologischer und religionsgeschichtlicher Relevanz, so werden diese in Anlehnung an die masoretische Tradition des Verweises auf eine Randbemerkung mit einem kleinen Kreis am Wortbeginn versehen. Am Seitenrand findet sich das Fremdwort in einfacher Umschrift. Im Anhang kann man unter dem entsprechenden Begriff die theologisch und sozialgeschichtlich begründete Übersetzungsentscheidung, weitere Synonyme sowie aussagekräftige Erklärungen nachlesen, die auf die Bedeutungsvielfalt der einzelnen Begriffe und den sozial- und religionsgeschichtlichen Kontext aufmerksam machen sowie zur theologischen Vertiefung einladen. Der größte, mutigste und den Horizont wohl am meisten erweiternde Impuls in der neuen Bibelübersetzung ist der Schritt, den biblischen Eigennamen des Gottes Israels - in der Wissenschaft recht technisch mit dem Tetragramm JHWH, in den meisten deutschen Bibelausgaben bisher mit "Herr" bzw. Herr übersetzt - in seiner Vieldimensionalität wiederzugeben und eine Reihe von möglichen theologisch verantworteten Bezeichnungen aus der christlichen und jüdischen Tradition anzubieten: der/die Eine, der/die Lebendige, der/die Heilige, der/die Ewige, der Name, Gott, Ich-bin-da, Ich Du Er Sie sowie Adonaj (von "Herr" abgeleitet), ha-Schem (der Name), ha-Makom (der Ort, der Raum) und Schechina (Gegenwart Gottes). Der Gottesname wechselt von Buch zu Buch, im Psalter von Texteinheit zu Texteinheit. Die übrigen, im Einzelfall nicht gewählten Bezeichnungen sind in Auswahl in der Kopfzeile der jeweiligen linken Seite sichtbar und können bei Bedarf beim Lesen und Rezitieren selbst ausgetauscht werden. So soll die Wiedergabe des Namens Gottes, der bereits in biblischer Zeit aus Ehrfurcht und im Wissen um die Gefahr von Missbrauch nicht mehr ausgesprochen wurde und anstelle dessen Ersatzbezeichnungen gewählt wurden, der Selbstvorstellung Gottes in Ex 3,14 als eine/r, der/die in dynamischer Weise (da) ist und (da) sein wird, ein wenig gerechter werden. Die biblischen Bücher sind je nach ÜbersetzerIn sprachlich unterschiedlich und vielfältig gestaltet. Hervorzuheben ist das mit viel Kompetenz und Feingefühl für poetische Sprache und Inhalt verfasste Buch der Psalmen. Details wie jenes, dass im Ps 63, der von der Sprache der Sehnsucht dominiert ist, das viermalige Vorkommen des hebräischen Begriffs "nefesch", welcher das Organ der Kehle bezeichnet und von der LXX in den meisten aller Fälle mit psyché (Seele) wiedergegeben wird, jedes Mal anders, und zwar dem Kontext entsprechend einmal mit Kehle (V. 2), Seele (V. 6), verletzliches Leben (V. 8) und mich (V. 9) übersetzt wurde, machen dies deutlich. Dieses Beispiel zeigt das gelungene Bemühen der BigS, der Bedeutungsvielfalt der hebräischen Bildsprache sprachliche Relevanz zu verleihen. Ein weiterer Blick auf einen Textkorpus von poetischen Texten, das Hohelied als acht Kapitel umfassende Sammlung von Liebesliedern, lässt erkennen, dass es der neuen Bibel - entgegen etwa der Elberfelder Übersetzung - ein Anliegen ist, auch vom Erscheinungsbild her dem lyrischen Charakter der Texteinheiten und somit der Schönheit der hebräischen Sprache Rechnung zu tragen. Neben dem Bemühen um poetische Schönheit versucht die BigS eine zeitgemäße Sprache zu finden, um die in den alten Texten der Bibel verborgenen Botschaften den heutigen Menschen wieder neu zugänglich zu machen. Diese zum Teil umgangssprachlichen und deshalb vorerst gewöhnungsbedürftigen Formulierungen orientieren sich - gemäß dem Motto Martin Luthers, "den Leuten aufs Maul zu schauen" - an modernen Lebens- und Sprachwelten und fördern die lebendige Darstellung biblischer Erzählfiguren. Abgesehen von den bereits genannten weiblichen und männlichen Bezeichnungen für die Gottheit Israels verfolgt die BigS durchgehend dort eine Übersetzung in geschlechtergerechter Sprache, wo Frauen gemeint sind. Die jeweiligen weiblichen Bezeichnungen müssen im Original nicht erwähnt sein. Im NT rüttelt die Benennung von Jüngerinnen und Jüngern sowie Pharisäerinnen und Pharisäern am androzentrisch geprägten Geschichtsdenken und in weiterer Folge an patriarchal dominierten kirchlichen Strukturen. Die "Bibel in gerechter Sprache" macht Ernst mit Erkenntnissen aus der neuen theologischen Forschung. Sie deckt Unrecht und Ungerechtigkeiten auf, sprengt einseitig gedachte Vorstellungen von Gott und den Menschen, benennt ohne zu verharmlosen soziale Missstände und lädt ein, sich in neuer - von Sexismus, Rassismus und Antijudaismus befreiter Weise - auf die alten Texte der Bibel einzulassen, um daraus Kraft für ein gerechtes Leben in Kirche und Gesellschaft zu schöpfen.


Dieses Medium ist verfügbar. Es kann vorgemerkt oder direkt vor Ort ausgeliehen werden.

Personen: Bail, Ulrike u.a.

Schlagwörter: Bibel

Bibel in gerechter Sprache / Ulrike u.a. Bail. - 3. Aufl. - Gütersloh : Gütersloher Verlagshaus, 2007
ISBN 978-3-579-05500-8 fest. fest geb.

Zugangsnummer: 2023/0027 - Barcode: 2-2059015-2-00008677-6
Bibelausgaben, Bibelübersetzungen - Signatur: Bi 1.1.10 - Buch