Die verwitwete Alleinerzieherin Mathilde erfährt Mobbing in allerschärfster Form. (DR) Mathilde hat einen guten Job in einer großen französischen Firma, bis sie eines Tages ihrem unmittelbaren Vorgesetzten widerspricht und seine Rache in abscheulichster Form erlebt: Ihren Platz nimmt völlig überraschend eine junge Praktikantin ein, ihr wird ein fensterloses Büro neben der Herrentoilette zugewiesen, der Chef macht ihr haltlose Vorwürfe und einen Wechsel in eine andere Filiale unmöglich. Auf fast 250 Seiten wird die Dynamik des Mobbings detailliert beschrieben. Am Anfang des Buches erfährt man, dass eine Wahrsagerin Mathilde eine entscheidende Begegnung am 20. Mai vorausgesagt hat und während des ganzen Buches wünscht man sich, dass diese Begegnung positiv sein möge. Der Wunsch erhält noch zusätzlich Nahrung durch den zweiten Protagonisten der Geschichte, Notarzt Thibault, dessen psychische Befindlichkeit immer wieder als Gegengeschichte weitererzählt wird. Er hat sich von seiner Freundin Lila getrennt, weil sie ihm nicht genügend Hingabe entgegenbrachte. Thibault bleibt eine relativ blasse Figur, man erfährt auch nicht, ob und wie er sich um Lila bemüht hat. Und Mathilde schafft es letztlich nicht! Sie kündigt und wird ihr Leben von Grund auf neu ordnen müssen. Der frustrierte Thibault sitzt ihr zwar in der U-Bahn gegenüber, eine "große Begegnung" findet aber nicht statt. Delphine de Vigan erzählt klar, schonungslos und ohne zu psychologisieren. Warum Mathilde so hilflos ist und warum der Chef derart große persönliche Defizite aufweist und ob es in Frankreich keinen Betriebsrat gibt, kann man sich bestenfalls selbst zusammenreimen. Ein Buch für Leserinnen, die es schätzen, wenn ein Status quo literarisch sichtbar gemacht wird. Weniger empfehlenswert für solche, die gerne auch eine Lösung geboten bekommen und das klassische Schema Krise - Wendepunkt - Erlösung bevorzugen. *bn* Doris Göldner

Personen: Vigan, Delphine de Heinemann, Doris