Noch bevor er eigene Träume entwickeln kann, sieht die Familie in Edouard einen Dichter und zerstört damit beinahe sein ganzes Leben. (DR) Ein ungeschicktes Gedicht führt dazu, dass der kleine Edouard gefeiert wird und von da an quasi die Stellung als Dichter der Familie innehat. Erst nach Jahrzehnten der Frustration begreift er, dass in den Worten des Vaters "Schreiben heilt" die tiefe Sehnsucht seiner Eltern lag, sich ausdrücken zu können. Der Vater hat eine Kriegstraumatisierung, die Mutter bleibt in ihrer unerfüllten Liebe stecken. Die Sprachlosigkeit zwischen diesen beiden führt zur Trennung, was Edouard nie verwinden kann. In den folgenden Jahrzehnten kommt Edouard ins Internat, geht eine frühe Ehe ohne Liebe ein und ist später als Werbetexter (statt Schriftsteller) sehr erfolgreich, ohne sich am Wohlstand erfreuen zu können. Erst ganz am Ende des Buches gibt es einen Hoffnungsschimmer, dass Edouard die Verantwortung für das Unglück seiner Eltern abgeben und sich stattdessen der Suche nach dem eigenen Glück widmen könnte. Der 235 Seiten starke Roman ist in zahlreiche kurze, nicht nummerierte Kapitel eingeteilt, in denen nur Fakten erzählt werden, ohne dass ein psychologischer Hintergrund angedeutet wird. Dieser kantige Stil macht es den Lesenden schwer, sich mit dem Protagonisten zu identifizieren oder anzufreunden. Ein weiteres, den Lesegenuss behinderndes Detail sind die zahlreichen Hinweise des Autors auf französische Dichter, Sänger, Schauspieler etc., bei denen man großes Vorwissen braucht, um die Parallelen zu der jeweiligen Situation zu erkennen. Zum Beispiel: "Die Frau hatte ein ehrliches Gesicht, eines wie Danièle Delorme in ‚Der Engel, der ein Teufel war' von Julien Duvivier." (S. 133) "Der Dichter der Familie" ist eine spröde Familiengeschichte, die nicht uninteressant ist und all jene erfreuen wird, die gerne schnörkellose Geschichten lesen und dennoch viele Anstöße zum Nachdenken bekommen wollen.
Personen: Delacourt, Grégoire Scheffel, Tobias
Delacourt, Grégoire:
¬Der¬ Dichter der Familie : Roman / Grégoire Delacourt. Aus dem Franz. von Tobias Scheffel. - Hamburg : Atlantik, 2017. - 237 S.
ISBN 978-3-455-40468-5 fest geb. : ca. € 20,60
SL-Fra - Signatur: SLFRA Delac - Buch