Am 12. 11. 2040 soll Anna 15 werden. Am Vorabend vermutet sie, dass sie diesen Geburtstag nicht erleben wird: Ausgehungert und verfroren sitzt sie bei Minusgraden auf dem Dach des Berliner Hauses, in dem sie mit ihren Eltern gelebt hat, bis die an Kummer und Unterernährung gestorben sind. Annas NetBoard, einzige Verbindung zur Welt, hat immer noch Strom, und so chattet sie auf ihrem versteckten Blog mit dem geheimnisvollen Ben. Der verspricht ihr ein besseres Leben; immer wieder, bis zuletzt. Für die Ursachen des historischen Desasters, das ihre Welt geprägt hat, interessiert sich die postapokalyptische Jugend nicht: Es muss, wie Anna vermutet, ein äWettrennen zwischen Katastrophen aller Artô gewesen sein, äeine hat eben gewonnenô. Diese Gleichgültigkeit inszeniert Nana Rademacher in ihrem Debüt durchaus glaubhaft, sind es doch die Generationen von Annas Eltern und Großeltern, die den Planeten heruntergewirtschaftet haben. Anna selbst kennt kein Leben vor dem nuklearen Supergau, dem Mangel, der Militärdiktatur. Ihr Interesse gilt allein dem Überleben - und der Suche nach der blauen Blume, die sie aus Eichendorffs Gedicht kennt. Also wird sie auf eine mäandernde Reise durch die postapokalyptische Landschaft rund um Berlin geschickt: zur Untergrundbewegung, in ein (Um-)Erziehungsheim, zu hilfreichen Eremiten, desertierten Soldaten, und schließlich in eine Fabrik, in der Menschen zu Fleisch verarbeitet werden. Weil sich Rademacher aber offenbar so wenig für die politisch-sozialen Hintergründe interessiert wie ihre Protagonistin, entfaltet der Roman weder zeitdiagnostisch-kulturkritische Qualitäten noch den literarischen Reiz eines jugendlichen Reifungsprozesses. Er spielt auch nicht selbstreflexiv mit den wie Versatzstücke aus klassischen Dystopien anmutenden Stationen von Annas Reise, sondern ebnet sie ein zur Folie für eine Abenteuer- und Liebesgeschichte, die zwar spannend zu lesen ist, dem von Titel und Klappentext suggerierten gesellschaftspolitischen Potential aber in keiner Hinsicht gerecht wird.
Personen: Rademacher, Nana
Rademacher, Nana:
Wir waren hier / Nana Rademacher. - Orig.-Ausg. - Ravensburg : Ravensburger Buchverl., 2016. - 341 S.
ISBN 978-3-473-40139-0 fest geb. : ca. Eur 15,50
Romane, Erzählungen und Novellen - Signatur: DR RAD - Romane, Erzählungen