Annotation: Ein Zwölfjähriger übernimmt die Verantwortung für seine psychisch kranke Mutter und wird zuletzt doch von seiner Familie und seinen Freunden gestützt. Rezension: Eine Geschichte, um darin zu wohnen, heißt es im Klappentext. Der zwölfjährige Frankie wohnt darin. Mit der Katze "Fettkontrolle", der nervigen Schwester Gordana, dem schwerbeschäftigten Vater Onkel George und natürlich mit Ma. Von Kuchenduft ist die Geschichte durchzogen, denn seine Mutter betreibt aus der eigenen Küche heraus einen Backservice. Trotzdem stellt Frankie gleich zu Beginn fest: "Dieses Haus funktioniert nicht!" und seine Schwester bemerkt bissig: "Das letzte, was dieses Haus braucht, ist ein Kind". Hoppla. Wir ärgern uns ein bisschen mit dem Protagonisten, dass die Müsliriegel alle sind und kein Busgeld da, nicht mal im Sparschwein, aber dann überlassen wir uns mit ihm der morgendlichen Freude, mit seinem besten Freund Gig den Zickzackweg hinunter zu hüpfen und zu springen, die täglichen Spielchen mit den Nachbarn und deren Hunden zu spielen. Und dann die große Überraschung: Sydney! Die Neue im Bus und in der Klasse. Dreadlocks, Uggs, offene Augen, jungenhafte Kühnheit und dann kann sie nicht nur Kricket spielen, wie der Beste unter ihnen, sondern sie sucht sich ausgerechnet den schüchternen Frankie als Freund aus. Wunderbare Geschichte eines neuseeländischen Sommers. Wäre nicht alles ganz anders. Während Sydneys Mutter alle paar Monate mit ihren drei Kindern von Kontinent zu Kontinent zieht, wohl immer auf der Spur zahlender Liebhaber, stellt sich heraus, dass Frankies Mutter das Haus schon seit Jahren nicht verlässt. Sie kann nicht einmal die Post an der Gartentür holen. So gibt Ma zwar Frankies "10 Uhr-Fragen" liebevoll Antwort, aber tatsächlich ist sie längst selbst zu seinem erwachsenen Schützling geworden. Ganz vorsichtig fügt die Autorin die Puzzleteile ineinander. Frankies Mutter hat mit sechs Jahren ihre Eltern bei einem Autounfall verloren und ist schwer traumatisiert. Schon als Frankie noch sehr klein war ist sie zweimal so tief in die Depression gestürzt, dass das Kind Monate bei seinen drei originell dicken Tanten verbracht hat. Obwohl Frankie im Verlauf des Romans selbst eine Angststörung entwickelt, die von de Goldi kenntnisreich und präzise geschildert wird, bleibt die Stimmung im Werk immer hoffnungsvoll, ja selbst an tiefen Abgründen entsteht noch ein Lächeln unter Tränen. Denn konfrontiert mit Sydneys bevorstehendem Umzug bricht Frankie selbst zusammen. Meisterhaft ist das Auftauchen dieses depressiven Schubs geschildert: von den ersten Panikattacken bis zur völligen Schlaflosigkeit. Die verzweifelten Versuche, durch Aufzählen von Vogelnamen, oder Krickettabellen nicht ganz in ein Niemandsland abzudriften, bis hin zur völligen Verweigerung der Nahrung. Folgerichtig erscheint die Zu-Flucht zu Tante Alma, die mit einem Stumpen im Mund auf der Terrasse hockend, vorsichtig die ersten Schleier über dem Schicksal der Mutter lüftet. Aufgerüttelt durch den Vorfall befreit die Familie Frankie von dem Übermaß an Verantwortung - alles wird gut. Es gelingt Goldi, stets eine humorvolle Selbstdistanz einzubauen, die verhindert, dass jugendliche LeserInnen selbst in Angst geraten. Ein spannendes, genial einfühlsames Jugendbuch, das auch sprachlich in einem differenzierten, leicht schwebenden Stil gehalten ist.
Personen: Herzke, Ingo De Goldi, Kate
De Goldi, Kate:
Abends um 10 / Kate de Goldi. Aus dem Engl. von Ingo Herzke. - Hamburg : Carlsen, 2011. - 334 S.
ISBN 978-3-551-58243-0 fest geb. : ca. € 17,40
Romane, Erzählungen, Dramen, Lyrik, Sammlungen - Signatur: De - Buch