"Noch vor wenigen Monaten waren wir alle - nein! alle nicht - bereit zur Fortsetzung unseres bisherigen Lebens aus bloßer Gewohnheit. Im Schoße unseres behüteten, überbewachten, verwirtschafteten Landes gingen wir unseren Geschäften nach und weigerten uns,. den Satz zu glauben: Eine Katastrophe ist eine Katastrophe ist eine Katastrophe. Zumal den Satz niemand (fast niemand) ausgesprochen hat. Wäre er ausgesprochen worden, hätten wir ihn, wenig trainiert in wirklicher Verzweiflung wie in wirklicher Hoffnung, mit harmoniebedürftigen Ohren gehört.

So schlimm kann es nicht sein.

Der Trost, den sich die wissenden Menschen diesen Landes, die Gleichgesinnten bis zum Sommer 89 wechselseitig gespendet haben, war ein sublimes Gemisch aus Kenntnis der Lage, Verdrängung der Kenntnis der Lage und Bereitschaft - wie auch anders? - zum Weitermachen. Hin und wieder traten einige aus dem mehrheitlichen Schweigen hervor. Doch seltsame Schizophrenie der Mehrheit. Sie erkannte in den Redenden ihre Wortführer nichtan. Je klarer, je bestimmter die Redenden an dem Satz buchstabierten: Eine Katastrophe ist eine Katastrophe ist..., desto tiefer zog sie sich ins Schweigen zurück.

Dann kam die Wende."

Kurt Nowak
Dezember 1989

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Serie / Reihe: pro vocation 2

Personen: Nowak, Kurt

Schlagwörter: DDR Leipzig Wende Christentum Kirche friedliche Revolution Leipziger Herbst Oktoberrevolution kirchliche Opposition Pleiße-Pilgerweg

Interessenkreis: Geschichte Politik Wende