Edward Feathers, einst Kronanwalt in Hongkong, vollendeter Gentleman, und selbst mit achtzig noch ein schöner Mann, scheint ein mühelos erfolgreiches Leben gehabt zu haben, doch wer kannte ihn schon wirklich? Nicht einmal seiner Frau Betty hat er je erzählt, woher das Stottern kommt, das ihn in Augenblicken großer Aufregung noch immer überwältigt. Als Betty stirbt, bewahrt Feathers wie gewohnt Contenance. Doch eines Morgens setzt er sich ans Steuer seines Wagens und fährt los, das eigene Leben zu erkunden.
Rezension
Ein wunderbares Buch! Die große britische Erzählerin Jane Gardam, die im Jahr 2016 ihren 88. Geburtstag feierte, schrieb es mit über 80 Jahren und thematisiert kaum Bekanntes: Das Leben der Empire- oder Raj-Waisen.
Dieser Roman ist der erste Band einer Trilogie und er erschien 2004 in Großbritannien und 2015 in der exzellenten Übersetzung von Isabel Bogdan auf Deutsch.
Es geht um die Vergangenheit, um Unbewältigtes. Edward Feathers kann sich endlich im Alter von über 80 Jahren seiner Erinnerung stellen. Im Fernen Osten kam er zu Wohlstand und ihm ging, einem Gentleman alter Schule, als Rechtsanwalt und Richter ein untadeliger Ruf voraus. Jüngere Kollegen spöttelten über seinen Spitznamen Filth, der steht für »Failed in London Try in Hongkong«. Tatsächlich war es so: Der noch Erfolglose ging in den Fernen Osten und fand sein Glück.
Die Autorin greift in diesem Roman ein heikles Kapitel britischer Kolonialgeschichte auf. Denn Edward Feathers ist einer der namenlosen Empire- oder Raj-Waisen; eines von vielen in Asien geborenen Kindern britischer Eltern, deren Muttersprache der ersten Lebensjahre erstaunlicherweise nicht das Englische, sondern das Malaysische ist. Daher schickten britische Kolonialbeamte ihre von einheimischen Ammen betreuten Kleinkinder regelmäßig zur besseren Ausbildung nach England. Merkwürdigerweise schien die Erziehung in englischer Kultur und Sprache so wichtig zu sein, dass diese oft noch sehr jungen Kinder auch dann allein nach England geschickt wurden, wenn es dort weder Verwandten oder nähere Bekannte gab. So kam der kleine Edward zu einer seinen Eltern völlig unbekannten englischen Pflegefamilie.
Geprägt von den dort durchlebten Ängsten und unglaublichen Erinnerungen kehrt er als ehrgeiziger und distanzierter Jurist nach Asien zurück. Er wird Kronanwalt in Hongkong und zieht erst im Ruhestand mit seiner Frau, auch einer Raj-Waise, wieder nach England.
Die Autorin erzählt die teils ernste Geschichte humorvoll mit viel Feingefühl und zugleich mit leichter Ironie, »die diese Lektüre dunkler Erfahrungen zu einer hellen Freude macht« (FAZ).
Rezensent: EG
Personen: Bogdan, Isabel Gardam, Jane
Gard
Gardam, Jane:
Ein untadeliger Mann : Roman / Jane Gardam ; aus dem Englischen von Isabel Bogdan. - Lizenzausgabe. - München : dtv, 2017. - 344 Seiten
ISBN 978-3-423-14567-1
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