Erpenbeck, Jenny
Gehen, ging, gegangen Roman
Buch

Wie erträgt man das Vergehen der Zeit, wenn man zur Untätigkeit gezwungen ist? Wie geht man um mit dem Verlust derer, die man geliebt hat? Wer trägt das Erbe weiter? Richard, emeritierter Professor, kommt durch die zufällige Begegnung mit den Asylsuchenden auf dem Oranienplatz auf die Idee, die Antworten auf seine Fragen dort zu suchen, wo sonst niemand sie sucht: bei jenen jungen Flüchtlingen aus Afrika, die in Berlin gestrandet und seit Jahren zum Warten verurteilt sind. Und plötzlich schaut diese Welt ihn an, den Bewohner des alten Europas, und weiß womöglich besser als er selbst, wer er eigentlich ist.


Rezension

In Jenny Erpenbeck, 1967 in Ostberlin geboren und dort aufgewachsen, begegnen wir einer Schriftstellerin und Theaterregisseurin mit etlichen bedeutenden Auszeichnungen.
»Gehen, ging, gegangen« - ein Buchtitel, der nicht unbedingt leicht und gleich zum Lesen einlädt. Aber wenn, dann macht die Annäherung den Lesenden immer neugieriger - aber worauf - auf Raum und Zeit, auf Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges? Ja, er möchte wissen, wieso und warum der gerade pensionierte Altphilologe Richard sich mit den in Berlin gestrandeten Flüchtlingen befasst.
Für Richard - allein lebend - gibt es nichts zu tun, so fällt er gehend quasi über die im Jahr 2015 am Berliner Oranienplatz campierenden Afrikaner. Andererseits kommen die Flüchtlinge von weit her - gestrandet und haben ebenso nichts zu tun, sehen keine Perspektive. Weltfremd nähert sich der Pensionist diesen mit wissenschaftlicher Gründlichkeit. Er, ein Gutmensch, ein Helfender, ein Gutgläubiger, begleitet einige der Gestrandeten, vertraut ihnen - in mancher Hinsicht gleichen sie sich: der oft naiv anmutende Helfer und die naiven, von westlicher Lebensart überforderten, aber gewitzten Hilfesuchenden. Gewitzt, denn der pensionierte Professor wird »um die Fichte geführt« und ausgenutzt. Dennoch profitieren beide Seiten voneinander. Gerade Richard verlässt seinen Elfenbeinturm und lernt Wege der Flucht mit dem Flüchtlingsalltag kennen. Er versucht politische Gegebenheiten nachzuvollziehen, taucht in die normative Realität Deutschlands und der EU ein. Nicht nur er, sondern auch Leser und Leserin erahnen die komplexe Welt des Ausländerrechts.
»Jenny Erpenbecks gründlich recherchierter Tatsachenroman erscheint an der Schwelle einer dramatischen Ausweitung des Flüchtlingsproblems wie der politischen Auseinandersetzung damit.« (Friedmar Apel, FAZ vom 27.8.2015). Dieses informative, gut lesbare, wunderbar authentische Buch hilft dabei, das Flüchtlingsproblem und die damit geschaffene Situation zu verstehen. Es lässt uns staunend Monate des Flüchtlingsdramas 2015 miterleben: komische und nachdenklich stimmende Situationen.

Rezensent: EG


Personen: Erpenbeck, Jenny

Schlagwörter: Berlin Einwanderung

Interessenkreis: Rezensierte Titel

Erpe

Erpenbeck, Jenny:
Gehen, ging, gegangen : Roman / Jenny Erpenbeck. - 4. Auflage. - München : Knaus, 2015. - 351 Seiten
ISBN 978-3-8135-0370-8

Zugangsnummer: 2015/0200
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