Fischer, Elena
Neu Paradise Garden Roman
Buch

Die 14-jährige Billie verbringt die meiste Zeit in ihrer Hochhaussiedlung. Am Monatsende reicht das Geld nur für Nudeln mit Ketchup, doch ihre Mutter Marika bringt mit Fantasie und einem großen Herzen Billies Welt zum Leuchten. Dann reist unerwünscht die Großmutter aus Ungarn an, und Billie verliert viel mehr als nur den bunten Alltag mit ihrer Mutter. Als sie Marika keine Fragen mehr stellen kann, fährt Billie im alten Nissan allein los - sie muss den ihr unbekannten Vater finden und herausbekommen, warum sie so oft vom Meer träumt, obwohl sie noch nie da war.


Rezension

Die junge Autorin hat mit ihrem Erstlingswerk ein wunderbar leicht zu lesendes Buch veröffentlicht. Nicht nur leicht, sondern so, dass sich die Leser diesem Roman kaum entziehen können, überdies könnte der Eindruck entstehen, es handle sich um eine Autobiografie. Elena Fischers Roman wurde für den Deutschen Buchpreis 2023 nominiert.
Protagonistin ist die 14-jährige Billi, die mit ihrer Mutter Marika in einer Hochhaussiedlung, einem sozialen Brennpunkt eines Stadtteils, lebt. Gebürtig sind beide aus Ungarn und dort lebt noch die oft gewalttätige und daher ungeliebte Großmutter mütterlicherseits. Vieles ist für Mutter und Tochter unerreichbar und so versuchen sie, den Alltag zu meistern. Da wundert es nicht, dass beide die Stadt, den Rhein und das größte Kaufhaus der Stadt als etwas Großes, Spektakuläres erleben.
Die Schullaufbahn der in gewisser Weise zielstrebigen Billi scheint unspektakulär zu sein, dagegen wird deren Mutter als unangepasst erlebt, sie bewältigt den Alltag, ihr Leben, quasi jonglierend - denn: Verluste führen oft dazu, nie irgendwo richtig anzukommen. Tröstlich sind nette, junge, überaus hilfreiche Nachbarn.
In diese kleine, irgendwie friedliche Welt bricht zu Beginn der Sommerferien der unerwartete Besuch der ungarischen Großmutter ein, die den Unfalltod der Mutter und Billies merkwürdige, fast unglaubliche Reise mit einem kaputten TÜV-losen Auto an die Nordseeküste - ins Schleswig-Holsteinische? - verursachen wird. Herrndorfs Roman »Tschick« klingt an. Die Autofahrt gilt der Suche nach dem leiblichen Vater. Hartnäckig stellt sich die Jugendliche allen Widrigkeiten, kontaktfreudig und mutig findet sie die richtigen Personen. Alles wird trotz allem vermeintlich gut.
Aber der Roman zeigt auch eine andere Ebene. Marikas Verhalten deutet auf eine nicht bewältigte, sie traumatisierende Vergangenheit - zeigt im Grunde ein Sich-Abschotten von der Realität und einen planlosen Alltag - wenn auch oft für die Tochter fantasievoll gestaltet. Sie spaltet im Alltag nicht nur ihre Kindheitserfahrungen ab und kann so überaus schmerzliche Erinnerungen vermeiden. Sichtbar wird, wie Billis Identifizierung mit dem Leid der Mutter die eigene Entwicklung zu bremsen scheint. Insgesamt aber erleben die Leser die jugendliche Protagonistin als stark. So dürfte das Mädchen trotz allem immer Personen um sich gehabt haben, die sie versorgten und liebevoll betreuten: ihre Resilienz-Faktoren. Erkennbar wird dies, als sie im hohen Norden auf den vermeintlichen Vater trifft, bei dem sie wohl als Kleinkind längere Zeit gelebt hat.
Fischers Roman nimmt den Lesenden mit - aber er ist keinesfalls nur leicht und witzig wie ein Roadmovie.

Rezensent: EG


Weiterführende Informationen


Personen: Fischer, Elena

Schlagwörter: Erwachsenwerden Leiblicher Vater

Interessenkreis: Rezensierte Titel

Fisc

Fischer, Elena:
Paradise Garden : Roman / Elena Fischer. - Zürich : Diogenes, 2023. - 345 Seiten
ISBN 978-3-257-07250-1

Zugangsnummer: 2024/0077
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