Bischöfliche Aktion Adveniat (Hg.)
Blickpunkt Dom Helder Camara Ein Prophet und Wegbereiter: Zum 100. Geburtstag von Dom Helder Camara
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>> Dom Helder Camara; Prophet; Befreiungstheologie;

CÂMARA, Hélder Pessôa, brasilianischer Erzbischof; als leidenschaftlicher Vertreter und Fürsprecher der Armen und Entrechteten (»Dom Hélder«) Symbolgestalt, Hoffnungsträger und »Prophet« der südamerikanischen Befreiungstheologie; * 7.2. 1909 in Fortaleza, + 27.8. 1999 in Recife, Brasilien. - C. stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Der Vater war Buchhalter und antiklerikaler Freimaurer mit einer Liebe für das szenischen Theater, die Mutter eine fromme, gleichzeitig weltoffene und begabte Volksschullehrerin. Sie übte einen entscheidenden Einfluß auf ihn aus. Die Eltern hatten dreizehn Kinder, von denen fünf im jungen Alter durch eine Diphtherie-Epidemie starben. Schon früh äußerte C. den Wunsch, Priester zu werden. Neben dem tief religiösen Empfinden offenbarte er auch unter dem Einfluß seines Vaters eine Vorliebe für Dichtung und Theater und beschäftigte sich mit französischer Literatur. Mit vierzehn Jahren trat er in ein kirchliches Kolleg ein, absolvierte das Priesterseminar und empfing im August 1931in Fortaleza - mit Sondererlaubnis aus Rom, da er noch nicht das kirchenrechtliche Mindestalter von 24 Jahren erreicht hatte - die Priesterweihe. Er fühlte sich auf seine Arbeit als Seelsorger schlecht vorbereitet. (»Unsere Ausbildung war von der Apologetik geprägt...Wir konnten sämtliche alte und neue Häresien auswendig aufsagen; doch hatte ich auf sozialem Gebiet eine ganz und gar einfältige Vorstellung: daß die Welt in zwei entgegengesetzte Lager gespalten sei, den Kommunismus und den Kapitalismus. Der Kommunismus wurde uns als eine Ideologie vorgestellt, welche die Religion vernichten und das Privateigentum abschaffen wollte. Der Kapitalismus galt als Verteidiger der christlichen Ordnung.« Toulat, op. cit., 16) Zunächst arbeitete er als Sekretär für Erziehungsfragen und Anhänger der rechtsextrem-faschistischen »Integralistischen Aktion« in der Provinz Ceará. 1936 wurde er als Staatssekretär für das Erziehungswesen nach Rio de Janeiro gerufen, wo er unter dem Einfluß seines Dienstherrn Kardinal Leme dem Integralismus abschwor. Er bezeichnete rückblickend seine frühe integralistische Aktivität als »Irrtum«. C. war nun für Lehrpläne an öffentlichen Schulen sowie für die kirchliche Erziehung und den Katechismusunterricht verantwortlich. 1950 setzte er sich in Rom für die Gründung einer brasilianischen Bischofskonferenz ein, die 1952 als »Nationale Konferenz der Bischöfe Brasiliens« (CNBB) ins Leben gerufen wurde. In diesem Jahr wurde C. zum Weihbischof von Rio de Janeiro berufen. Von 1952 bis 1964 war er zugleich Generalsekretär der brasilianischen Bischofskonferenz. 1955 entstand durch C.s Initiative eine ähnliche Konferenz für ganz Lateinamerika, der »Rat der lateinamerikanischen Bischöfe« (CELAM). Politische Aufgaben als Bürgermeister oder Erziehungsminister, die man ihm antrug, lehnte er entschieden ab. - Seit 1955 - angeregt durch den französischen Pionier der »Arbeiterpriester« Kardinal P. Gerlier - stellte sich C. zunehmend in den Dienst der Armen und der »Favelados« und bemühte sich um soziale Reformen (sozialer Wohnungsbau zur Begrenzung der schnell wachsenden Favelas, Gründung der Wohlfahrtsbank »Banco da Providência« zur finanziellen Unterstützung sozial bedürftiger Menschen, Förderung der Katholischen Arbeiterbewegung und Mobilisation einer »Kampagne der Brüderlichkeit« unter dem Motto: »Weder Kapitalismus noch Kommunismus: Solidarität!«). 1963 gelang C. durch Regierungsverhandlungen, eine »Bewegung für Basiserziehung« (MEB) in zwölf brasilianischen Bundesstaaten einzurichten. Diese Volksbildungsbewegung schuf u. a. ein Lese-Lern-System auf Grundlage von Radiosendungen. Während des II. Vatikanums (1962-1965) versuchte er mit der Initiative »Kirche der Armen«, die Weltöffentlichkeit auf die Nöte der Entwicklungsländer aufmerksam zu machen. Er forderte eine Beendigung des Rüstungswettlaufes, eine strukturelle Anpassung des Weltwirtschaftssystems, Gewaltlosigkeit und die Einhaltung der Menschenrechte. Als symbolhafte Geste für die Abschlußzeremonie des Konzils schlug er vor: »Wir könnten unsere goldenen und silbernen Bischofskreuze dem Papst zu Füßen legen und dafür Kreuze aus Bronze oder Holz in Empfang nehmen, als Zeichen für den Entschluß, einen einfachen Lebensstil nach dem Evangelium anzunehmen...Die Pracht des Vatikans ist ein Stein des Anstoßes« (Toulat, op. cit., 42). - Bei Ausbruch der Militärdiktatur im April 1964 wurde C. zum Erzbischof von Olinda und Recife geweiht. Die Region im brasilianischen Nordosten gehörte zu den ärmsten des Landes. Wiederholt stellte er sich offen gegen das neue Regime und wurde als »roter Erzbischof« diffamiert und mit dem Tod bedroht. 1969 wurde sein Sekretär Pater Antonio Peirera Neto ermordet, was ihn dazu veranlaßte, Folterpraxis und Unterdrückung im Land vor der Weltöffentlichkeit schonungslos anzuprangern, so z. B. 1970 in Paris. Während C. daraufhin über zehn Jahre lang bis 1983, als die Diktatur zu Ende ging, in Brasilien von Regierung und Medien geächtet blieb, stieg seine Popularität im Ausland. Zahlreiche Vortragsreisen in die USA, nach Kanada, Japan und Europa mit Verleihungen von internationalen Friedenspreisen und Ehrendoktoraten (von 18 ausländischen Universitäten) folgten. Zweimal wurde er als Friedensnobelpreisträger vorgeschlagen. 1985 trat C. von seinen erzbischöflichen Pflichten zurück. Sein konservativer Nachfolger, Erzbischof José Cardoso Sobrinho, folgte nicht dem Weg C.s. - C. verstand sich als Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit und als Anwalt der Armen und Unterdrückten, immer auf der Suche nach einem »Dritten Weg« zwischen Kapitalismus und Marxismus, um auf friedliche Weise eine »strukturelle Revolution« herbeizuführen. Nach dem pazifistischen Vorbild von Gandhi und King, die er beide verehrte, rief er alle »abrahamitischen Minderheiten«, die im Sinne Abrahams das gelobte Land suchen, zu politischen Aktionen auf, indem er einerseits auf Aufklärung und Bildung, Dialog, moralischen Druck und zivilen Widerstand setzte und andererseits beständig vor der »Spirale der Gewalt« warnte. Neben der individuell-geistlichen und kollektiv-sozialen »Befreiung« des Menschen betonte C. im Blick auf die weltweit verflochtene Problematik von Ökonomie und Ökologie ebenso die Verantwortung des Menschen für das Schöpfungswerk Gottes. In einer Franz von Assisi ähnlichen Romantik sah er den Menschen als »Dolmetscher der Natur« und »Sänger Gottes«. Mystische Anbetung und praktischer Einsatz für Notleidende gehörten gleichermaßen zu den wesentlichen Lebenszielen C.s. Wiewohl C. als Sozialrevolutionär unkonventionelle, basisorientierte Ideen verkörperte - und deswegen auch von der Amtskirche verkannt wurde - stellte er Theologie und Hierarchie der Kirche nie in Frage. Das Motto seines Bischofswappens und seines Lebens lautete: in manus tuas - in Deine Hände.

Werke: Revolução dentro da paz, Rio de Janeiro 1968 (dt.: Revolution für den Frieden, Freiburg 1969); Terzo mondo defraudato, Mailand 1968; Pour arriver à temps, Paris 1970 (dt.: Es ist Zeit, Graz 1970); Spirale de violence, Paris 1970 (dt.: Die Spirale der Gewalt, Graz 1970); Le désert est fertile, Paris 1971 (dt.: Hunger und Durst nach Gerechtigkeit, Graz 1973); Friedensreise 1974. Zürich - Oslo - Frankfurt, Zürich 1974; Um olhar sobre a cidade, Rio de Janeiro 1976 (dt.: Selig, die träumen. 5-Minuten-Radiopredigten, Zürich 1982); Mil razões para viver, Rio de Janeiro 1978 (dt.: Mach aus mir einen Regenbogen. Mitternächtliche Meditationen, Zürich 1981); Meditation für dieses Jahrhundert. Gebet für die Reichen. Gebet für die Linke, Wuppertal 1979; Renouveau dans l'Esprit et service de l'homme, Brüssel 1979 (mit Kardinal Suenens; dt.: Erneuerung im Geist und im Dienst am Menschen, Salzburg 1981); Hoffen wider alle Hoffnung, Zürich 1981; Nossa Senhora no meu caminho, São Paulo 1983 (dt.: Maria - eine Mutter auf meinem Weg. Betrachtungen und Gebete, München 1985); Des questions pour vivre, Paris 1984 (dt.: Fragen zum Leben, Zürich 1984); L'Evangile avec Dom Helder, Paris 1985 (dt.: Gott lebt in den Armen: Repräsentanten der Befreiungstheologie, Olten 1986); Von Puebla bis Bremen: Zur Bedeutung der Dritten Lateinamerikanischen Bischofskonferenz für Kirche und Gesellschaft in der Ersten Welt, in: Befreiungstheologie als Herausforderung, hrsg. v. H. Goldstein, Düsseldorf 19853, 39-49; Em tuas mãos, Senhor! São Paulo 1986 (dt.: In deine Hände, Herr. Gedanken und Gebete, München 1987); Der Traum von einer anderen Welt. Meditationen und Predigten, München 1987; Quem não precisa de conversão? São Paulo 1987 (dt.: Schwester Erde - Meditationsgedanken. Lernen vom Schöpfer und seinen Werken, München 1988); Stimme der stummen Welt, Zürich 1989.
Quelle: Daniel Heinz, in: Biografisch-blibliographisches Kirchenlexikon Band XVIII (2000)Spalten 218-222.


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Personen: ? Bischöfliche Aktion Adveniat (Hg.) Hanf, Verena Frevel, Christian

Schlagwörter: Prophet Befreiungstheologie Dom Helder Camara Camara

Interessenkreis: Lebensbilder Theologie

Bischöfliche Aktion Adveniat (Hg.):
Blickpunkt Dom Helder Camara : Ein Prophet und Wegbereiter: Zum 100. Geburtstag von Dom Helder Camara / Bischöfliche Aktion Adveniat (Hg.). - Aachen
ISSN 1433-7568

Zugangsnummer: 2011/0005 - Barcode: 2-0140945-9-00006003-5
so - Signatur: TH56/74 - Buch