Ein Weg nach Auschwitz auf der Suche nach der Erinnerung Nachdem sich der Autor jahrelang mit der Vernichtungsmaschinerie des Dritten Reiches beschäftigt hat, beschließt er in Begleitung eines Freundes eine Reise - als Initiationsreise wird er sie später benennen - von Venedig nach Auschwitz. Um dem "Erfahrungsvakuum" ihrer nachgeborenen Generation etwas entgegenhalten zu können, vermeiden sie den direkten Weg per Bahn und legen einen Großteil der Reise zu Fuß oder mit örtlichen Bussen zurück. Etwa 20 Tage sind die beiden unter der sengenden Sommerhitze unterwegs, von Venedig über Tarvisio nach Österreich und von dort über die Slowakei ins polnische Oswiecim, deutsch Auschwitz genannt. Ausgerüstet sind sie mit Rucksäcken und dem Empfehlungsschreiben eines hochrangigen Klerikers, der die Wanderer der freundlichen Obhut der Klöster anempfiehlt. Ein Weg der Erinnerung ist der collagierte, mit Zitaten aus Literatur und Dokumentation, spontanen Beobachtungen zu den durchreisten Örtlichkeiten und losen Gedankensplittern gespickte Bericht dieser Reise. Die eingangs gestellte Frage: "Kann sich jemand, der der festen Überzeugung ist, in einem zeitlich sicheren Abstand zur Massenvernichtung geboren zu sein, wirklich wie ein Überlebender fühlen?" überschattet von Anfang an jegliches Aufkommen eines Urlaubsgefühls, gleichzeitig aber nährt sie fortwährend den Zweifel an der Möglichkeit, das Ausmaß des Schreckens jemals begreifen zu können. Die durchlaufenen Orte, sei es das Venedig der Gondeln sei es das postkartenglitzernde Kärnten der Seen, erhalten, trotz der allgegenwärtigen Bemühungen um eine Verwischung der historischen Spuren, eine eigentümliche Aura der Dunkelheit. Wie von fremder, unsichtbarer Hand verbunden liegen die Orte auf dem Weg der Wanderer, werden durch diesen Weg in ihrer gemeinsamen Geschichte verknüpft. Immer wieder sind es auch Orte ganz persönlicher Erinnerung, die die Richtung angeben, wie etwa der Bahnhof von Udine: An diesem Ort war es der Mutter des Autors, die nach der Ermordung ihres Vaters, einem Mitglied der Resistenza, von den Deutschen als Gefangene verschleppt worden war, auf spektakuläre Weise gelungen, aus dem Zug zu flüchten. Je weiter die Freunde in den Osten gelangen, von Eisenstadt nach Bratislava und Zilina bis schließlich nach Auschwitz, desto mehr scheinen sich die Beobachtungen der äußeren Umgebung mit der inneren Erwartung zu decken. "Ich fühle langsam, dass die Reise in die richtigen Bahnen gerät, spüre ihre Notwendigkeit." Die eingebauten Zitate der Schriftsteller und Historiker, die Erinnerungen und Zeugenberichte von Überlebenden ragen jetzt weniger abrupt in den Erzählablauf. Je grauer und desolater die Brachlandschaften entlang der Zugtrasse werden, desto nachvollziehbarer offenbaren sich die Wunden der Geschichte im Gedächtnis des Autors. In Auschwitz angelangt, dem Ziel der Reise, gilt es zunächst der "Litanei des Grauens", der Vermarktung der Gedenkstätte, den eigenen Blick entgegenzusetzen, um begreifen zu können. "Das Wissen, dass etwas von dem Menschen in uns ist, der uns vorausgegangen ist, ein Wissen, dem man sich nicht so leicht entziehen kann: ein Teil in uns ist Verfolger, ein Teil Opfer" steht als entmutigende, fatale Moral dieser Reise am Ende des Berichts. Besprechung von Alma Vallazza *ARGE-ALP Leserpreis 2001*
Personen: Affinati, Eraldo
Standort: Zell am See
DR Romane, Erzählungen AFFI
Affinati, Eraldo:
¬Ein¬ Weg der Erinnerung. Von Venedig nach Auschwitz / Eraldo Affinati. - Frankfurt am Main : Fischer, 1999. - 170 S.
Einheitssacht.: Campo del sangue. - Aus d. Italien. übers. von Irmengard Gabler
ISBN 978-3-10-000416-1 fest geb. : ATS 234,00
DR Romane, Erzählungen - Buch: Dichtung