Woolf, Virginia
Orlando Gesammelte Werke; Prosa 7
Buch: Dichtung

"[Von vielen Menschen] können wir mit Fug und Recht sagen, daß sie genau die achtundsechzig oder zweiundsiebzig Jahre leben, die ihnen auf dem Grabstein zugeschrieben werden. Bei den übrigen wissen wir von einigen, daß sie tot sind, obwohl sie unter uns wandeln; einige sind noch nicht geboren, obwohl sie die Formen des Lebens durchlaufen; andere sind hunderte von Jahren alt, obwohl sie sich als sechsunddreißig bezeichnen. Die wahre Länge eines Menschenlebens ist, ungeachtet dessen, was das Dictionary of National Biography sagen mag, immer eine strittige Angelegenheit." Orlando ist sechzehn, als er einen Tag im 16. Jahrhundert unter einer mächtigen Eiche verträumt und sich, während die Nacht plötzlich hereinbricht, sputen muß, um den Empfang von Königin Elisabeth nicht zu verpassen. Sechsunddreißg Jahre zählt sie, denn Orlando erwacht nach einer langen Trance, die ein traumatisches Ereignis verursacht, plötzlich zu einer Frau, als sie ihren kleinen Sohn zur Welt bringt und in Wirklichkeit vier Jahrhunderte ins Land gegangen sind. Orlando ist endlich in der Gegenwart angelangt. Kutschen ohne Pferde fahren laut hupend durch London. Ein Krieg hat sich ereignet und sein Schloß mit den dreihundertfünfundsechzig Schlafzimmern gehört ihr nicht mehr. Seine/ihre Geschichte schließt damit, daß sie wieder die über die Jahrhunderte liebgewonnene Eiche aufsucht und sich wehmütig zurückerinnert an all das, was sie in der langen oder kurzen Zeit erlebt hat, seit sie sich zum ersten Mal auf seine knorrigen Wurzeln, die ihr als Knabe wie das Rückgrat der Welt erschienen, bettete. Die Suche nach den Antworten auf die großen Fragen des Lebens trieb sie/ihn in die vielfältigsten Erfahrungen. Orlando suchte sie in der Liebe zu einer russischen Prinzessin, die ihn plötzlich verließ, in der Poesie, von der ihm ein Dichter abriet und ihm beinahe allen Mut dazu raubte, in der Politik als Gesandter am Hofe des Sultans von Konstantinopel, bei den Zigeunern, und wieder in der Liebe, diesmal als Frau zu einem Mann. Was ist Liebe? Was ist Freundschaft? Was ist Wahrheit? -- fragte sich Orlando über alle Zeiten hinaus, und berührte dabei viele knifflige Gebiete. Wie ist es, immer derselbe Mensch zu sein und dennoch in beiden Geschlechtern gelebt zu haben? Wieviele Ichs können in einem Menschen nach Leben verlangen? Wie fühlt es sich an, als Armer, als Reicher, als Herzog, als Liebhaber, als Geliebte, als Ausgestoßener oder Begünstigter, als Reisender durch verschiedene Epochen die Welt zu betreten? Durch das faszinierende Spiel mit der Zeit, festgehalten in einem Stil von seltener Schönheit, läßt uns die berühmte Autorin der Weltliteratur das Leben aus ungewohnten Blickwinkeln betrachten. Am 17. März 1928 um fünf vor eins ist das Buch fertig, eine Eskapade, wie Virginia Woolf in ihr Tagebuch notiert, die sie für eine Weile fortbringen soll von den ernsthaften, poetischen Büchern. Einen satirischen Geist wollte sie diesem Werk einhauchen und von wilder Struktur sollte es sein. Es war ihr gelungen, stellte sie zufrieden fest, obwohl die Geschichte extrem ungeplant war und sich Orlando derart selbstständig machte, daß es schien, als würde er jeden Moment aus dem Roman heraustreten. Orlando ist eine Liebeserklärung an Vita Sackville-West, einer zu ihren Lebzeiten schon erfolgreichen Schriftstellerin, deren hochadlige Herkunft Virginia sehr beeindruckte. Ihr widmete sie diese fiktive Biographie, in der die erdachten Figuren auf wirkliche Begegnungen im Leben Vitas anspielen. Während Übersetzer und Verlage lange nichts mit den Illustrationen (Familienfotos und Porträts von Vita, die Orlando in seinen verschiedenen Lebensphasen darstellen), einem Vorwort und einem Register, so wie es sich für eine vollständige Biographie gehört, anfangen konnten, erscheint Orlando nun zum ersten Mal in der vollständigen und von Virginia Woolf so beabsichtigten Gestalt. --Daphne Großmann -- Buch der 1000 Bücher Copyright: Aus Das Buch der 1000 Bücher (Harenberg Verlag) Orlando OT Orlando OA 1928 DE 1929Form Romanbiografie Epoche Moderne Dem Roman Orlando von Virginia Woolf liegt die Idee einer überzeitlichen Biografie der adeligen englischen Schriftstellerin und Freundin Vita Sackville-West (1892-1962) zu Grunde. Orlando vereinigt Elemente des historischen Romans, des Entwicklungsromans sowie der Lebensbeschreibung und stellt damit eine revolutionäre Form der Gattung Biografie dar. Inhalt: Die Romanbiografie erzählt chronologisch das 400 Jahre umfassende Leben des literarisch ambitionierten Orlando, der abwechselnd das männliche und das weibliche Geschlecht annimmt und lediglich um 20 Jahre altert. Im 16. Jahrhundert ist der adelige Jüngling Orlando ein Günstling Königin Elisabeths I. (1533-1603), später lebt er am Hof Jakobs I. (1566-1625). Als Botschafter Jakobs II. (1633 bis 1701) in Konstantinopel fällt der 30-jährige Orlando in einen tiefen Schlaf, aus dem er als Frau wieder erwacht. Nach England zurückgekehrt lebt Orlando als Dame der Gesellschaft des 17. und 18. Jahrhunderts. Im 20. Jahrhundert ist Orlando eine Schriftstellerin, die einen Literaturpreis erhält, ebenso wie die Autorin Sackville-West im Jahr 1928. Dank des androgynen Wesens ist Orlando in der Lage, männliche wie weibliche Eigenschaften in sich zu vereinen und diese Erfahrungen zu einem literarischen Werk zu verarbeiten. Struktur: In chronologischer Reihenfolge stellt Orlando anhand der Biografie die englische Kultur-, Sozial- und Literaturgeschichte dar. Das präsentierte Ideal der Androgynität der Hauptfigur ist zugleich das Ideal der Autorin Woolf: Losgelöst von einem geschlechtlichen Korsett, bildet es die Voraussetzung für literarische und künstlerische Kreativität. Im Werk finden sich deutliche Parallelen zur Familiengeschichte der Sackvilles; so ist das Stammschloss Knole Vorbild für den Familiensitz Orlandos und auch das Wappentier, der Leopard, ist übernommen. In humorvoller, ironischer Erzählweise behandelt Woolf bevorzugte Themen ihrer literarischen Arbeiten: die Zeit, die Polarität des Menschen sowie den Unterschied der Geschlechter. Ebenso wie in Mrs. Dalloway ist auch in Orlando die Diskrepanz zwischen äußerlich messbarer Zeit (clock-time) und innerlich erlebter Zeit (mind-time) berücksichtigt. Dadurch wird das subjektive Empfinden der Hauptfigur in den Vordergrund gerückt. Wirkung: Lange im Buchhandel als Biografie geführt, fand Orlando als einziges Werk von Woolf eine breite Leserschaft. Von der Literaturkritik wurde die fiktive Romanbiografie erst spät gewürdigt. T. R. Kurzbeschreibung Dieses Buch ist eine Huldigung Virginia Woolfs an die Schriftstellerin Victoria Sackville-West, zärtlich Vita genannt. In dem jungen, wandelbar-unwandelbaren Orlando, dessen abenteuerliches Leben 400 Jahre umspannt, sieht Virginia Woolf ihre Freundin als Verkörperung ihrer Vorfahren, der Grafen und Herzöge Sackville. Bald ist Orlando ein schöner Jüngling, Günstling Elizabeths I., bald eine Frau, die in Konstantinopel bei einem Zigeunerstamm lebt, dann wieder im England des 17. und 18. Jahrhunderts eine Dame der großen Gesellschaft, die, als Mann verkleidet, verbotene Abenteuer sucht. In der Gegenwart angekommen, ist Orlando eine Dichterin, die, wie Vita Sackville-West 1928, einen Literaturpreis erhält. Diese einzigartige, virtuose Romanbiographie gehört zu den unvergänglichen Werken der Weltliteratur. Über den Autor Virginia Woolf (1882-1941) war, zusammen mit ihrer Schwester Vanessa, Mittelpunkt der "Bloomsbury Group", des Künstler- und Literatenzirkels, der sich um 1905 in London zusammenfand. Ihr erster Roman, "Die Fahrt hinaus", erschien 1915. Neben den Romanen umfaßt ihr Gesamtwerk Erzählungen, Tagebücher, Briefe und eine Vielzahl von Essays. Virginia Woolf gilt als die bedeutendste englische Schriftstellerin dieses Jahrhunderts. Die Werke von Virginia Woolf erscheinen seit 1989 im S.Fischer Verlag in neuen Übersetzungen, herausgegeben und annotiert von Klaus Reichert, und in der Umschlaggestaltung von Sarah Schumann. *amazon.de*


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Personen: Woolf, Virginia Reichert, Klaus

Standort: Zell am See

Schlagwörter: fantastisch Geschichte Zeitreise biographisch

Interessenkreis: H Historische Romane F Fantasy-Romane

DR Romane, Erzählungen WOOL

Woolf, Virginia:
Orlando : Eine Biographie. : Gesammelte Werke; Prosa 7 / Virginia Woolf ; Klaus Reichert. - Frankfurt am Main : S. Fischer, 1990. - 259 S.
Einheitssacht.: Orlando. A Biography. - Aus d. Engl. von Brigitte Walitzek
ISBN 978-3-10-092557-2 fest geb. : DM 39,80

Zugangsnummer: 0005382001 - Barcode: 2-0000000-8-01052701-6
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