Ein neuer Roman von Michel Houellebecq, man weiß es längst, das ist: ein neuer Skandal. Diesmal im Angebot seiner Fiktion: die Huldigung an den Sextourismus und die Diffamierung des Islams. Zudem Interview-Aussagen Houellebecqs ("Der Islam ist die bescheuertste Religion der Welt"), die ihm eine Klage der französischen Islamischen Vereinigung wegen "Anstiftung zum Rassenhass und zur religiösen Gewalt" einbrachten. Kurz: Bereits vor seiner Lektüre geriet "Plattform" a priori zum Medienereignis -- und unterstützt auf diese Weise die Kritik gleichsam um eine neue, eine viel versprechende Debatte. Und die Handlung, der Protagonist? Naturgemäß eine vereinzelte Person, obendrein und einmal mehr Michel mit Namen. In seiner Welt von Einzelwesen bilden Peepshows und Unterhaltungsserien im Fernsehen Orientierungspunkte seiner unglücklichen Existenz, die erst durch den Tod seines Vaters, ermordet vom Bruder seiner islamischen Freundin, eine Wendung nimmt: Das Erbe ermöglicht ihm Urlaub, und er unternimmt eine Reise in den Fernen Osten, freilich zum vornehmlichen Zwecke des Beischlafes, der seine einzige Freude ist. Aber da gibt es schließlich noch Valérie, eine untypische weil altruistische Houellebecq-Figur -- und mit ihr den Versuch, im zweiten Teil des Romans die bedingungslose Liebe zu beschwören. Aber auch diese, man ahnt die Katastrophe schon, scheitert: Brutal niedergeschossen von islamistischen Terroristen stirbt Valérie in den Armen des geliebten Michel, der wieder vereinzelt zurückbleibt, dieses Buch (in uneindeutiger Perspektive) schreibt und dokumentiert: Liebe ist nicht möglich, wird immer scheitern. Michel: ein Mensch am Ende mit seinen Gefühlen; und diese haben schließlich, so Houellebecq, abzutreten. Unglück und Scheitern wirken also katalysatorisch auf das Schreiben nicht nur des Protagonisten Michel, sondern auch des Autors und Namensvetters Houellebecq, dessen Figuren seit seinem ersten Roman von so tiefer Verzweiflung, von unermesslichem Unglücklichsein und von transzendentaler Obdachlosigkeit heimgesucht sind, dass man sich ihnen kaum entziehen kann: Es ist der lautlose Ton der Verzweiflung, der der Houellebecq'schen Prosa zu Gehör und Erfolg bei seinen Lesern verhalf, nicht aber -- das scheint nach diesem Roman umso deutlicher -- deren literarische Qualität. Diese schließlich reduziert sich jenseits des Tones auf einen Houellebecq'schen Realismus, skandalträchtig schwebend zwischen spekulativem und provokativem Impetus. Was am Ende bleibt: ein schaler Eindruck eines nicht durch seine drastische Schilderung pornografischer Szenen schockierendes Buch, sondern vielmehr eines sich vor der französischen Kritik für eine neue Debatte, naturgemäß möglichst skandalträchtig, prostituierenden Autors. *Amazon.de* Kristina Nenninger
Personen: Houellebecq, Michel
Standort: Zell am See
DR Romane, Erzählungen HOUE
Houellebecq, Michel:
Plattform : Roman / Michel Houellebecq. - 1. - Köln : DuMont, 2002. - 339 S.
Einheitssacht.: Plateforme. - Aus d. Französ. übers. von Uli Wittmann
ISBN 978-3-8321-5630-5 fest geb. : EUR 24,70
DR Romane, Erzählungen - Buch: Dichtung